Mittwoch, 31. Juli 2019
to a friend
to a friend
Der unverbrauchte Tag
will bitter werden –
nimm deine Gedanken
nicht zurück, doch
spare sie auf und
versuche zu reden
von leichteren Dingen,
vielleicht von der
Eiszeit, die unsere
Enkel erwartet und
von der Freundlichkeit Weniger
unter Wölfen.
Dann lass uns
verständig
schweigen.
- Peter Härtling -
WER SEIN HERZ AUS DER BRUST REIßT ZUR NACHT
WER SEIN HERZ AUS DER BRUST REIßT ZUR NACHT
Wer sein Herz aus der Brust reißt zur Nacht,
der langt nach der Rose.
sein ist ihr Blatt und ihr Dorn,
ihm legt sie das Licht auf den Teller,
ihm füllt sie die Gläser mit Hauch,
ihm rauschen die Schatten der Liebe.
(Paul Celan)
„Die Wandlung der Gesellschaft ...
„Die Wandlung der Gesellschaft ist nicht so wichtig; sie wird sich natürlich und zwangsläufig ergeben, wenn der Mensch die innere Wandlung vollzogen hat.“
Jiddu Krishnamurti (1895-1986)
Kalendergedicht, Mittwoch 31.Juli 2019
Ich lag. Und neben mir lag eine Liebende
am Strand des feuerüberglänzten Meeres,
die hielt umschlungen meine große Nacktheit.
Und neben uns stand die Erscheinung eines Mannes,
der war starr in Verwunderung versunken
über die Klippen, über die vielen Inseln;
auf seinem großgeöffneten Gesicht
brandete der rote Schein der Wogen.
Und ganz in Fernen zwischen wasserlosen Hügeln
lagerte ein Heer Bewaffneter;
dort spiegelte der rote Schein der Wogen
auf blanken Panzern,
auf grauen Augen.
Ich aber lag. Ich atmete die kühle Luft der Freiheit.
Ich war so frei wie dasLächeln meiner Lippe.
Ich war so frei wie das feuerüberglänzte Meer.
Alfred Mombert (1872-1942)
Dienstag, 30. Juli 2019
"und wir entwenden der Seidenraupe einen Faden...
"und wir entwenden der Seidenraupe einen Faden,
um uns einen Himmel zu weben "
(Mahmud Darwisch)
A Song of Love
A Song of Love
FÜR IHN, DER...
Sein Atem ist Musik auf meiner Haut
und in seinen Händen blüht die Lilie meines Leibes
Unser Duft verströmt Vanille und Honig
noch jenseits von Traumland
Mit ihm
kann ich fliegen!
Barbara BaLo* Lorenz
Wenn du mich nicht ...
Wenn du mich nicht ...
Wenn du mich nicht sogleich verstehst,
bleibe dennoch guten Mutes.
Findest du mich nicht an einer Stelle,
so suche mich an einer andern.
Irgendwo halte ich mich auf
und warte auf dich.
(Walt Whitman)
Während die Weisen grübeln...
Während die Weisen grübeln, erobern die Dummen die Festung.
- Aus Serbien -
Kalendergedicht, Dienstag 30.Juli 2019
ZWEI
Drüben du, mir deine weiße
Rose übers Wasser zeigend,
Hüben ich, dir meine dunkle
Sehnsüchtig entgegen neigend.
In dem breiten Strome, der uns
Scheidet, zittern unsre blassen
Schatten, die vergebens suchen,
Sich zu finden, sich zu fassen.
Und so stehn wir, unser Stammeln
Stirbt im Wind, im Wellenrauschen,
Und wir können nichts als unsre
Stummen Sehnsuchtswinke tauschen.
Leis, gespenstig, zwischen unsern
Dunklen Ufern schwimmt ein wilder
Schwarzer Schwan, und seltsam schwanken
Unsre blassen Spiegelbilder.
Gustav Falke (1853-1916)
Montag, 29. Juli 2019
Die Zeit verändert sich...
Die Zeit verändert sich
Es gibt niemand mehr,
Der die Denkmäler der Zärtlichkeit
Mit blauer Farbe anstreicht.
Die Zeit veränderte sich
- Karl Krolow -
Es gibt niemand mehr,
Der die Denkmäler der Zärtlichkeit
Mit blauer Farbe anstreicht.
Die Zeit veränderte sich
- Karl Krolow -
Mein Bruder, laß uns stiller gehn! ...
Mein Bruder, laß uns stiller gehn!
Die Straßen dunkeln sachte ein.
Von ferne schimmern wohl Fahnen und wehn,
Doch Bruder, laß uns einsam sein -
Und uns zum Himmel schauend ruhn,
Im Herzen sanft und ganz bereit,
Und selbstvergessen einstigem Tun.
Mein Bruder, sieh, die Welt ist weit!
Da draußen spielt mit Wolken der Wind,
Die kommen wie wir, von irgendwo.
Laß sein uns, wie die Blumen sind,
So arm, mein Bruder, so schön und froh!
(Georg Trakl)
Kalendergedicht, Montag 29.Juli 2019
MITTAGSSTILLE
Am Waldsaum lieg ich im Stillen,
rings tiefe Mittagsruh,
nur Lerchen hör ich und Grillen
und summende Käfer dazu.
Die Falter flattern im Kreise,
kein Blatt rührt sich am Baum,
die Gräser beugen sich leise;
halb wach ich, halb lieg ich im Traum.
Martin Greif (1839-1911)
Sonntag, 28. Juli 2019
STIMMEN IN DER LUFT
STIMMEN IN DER LUFT
Verzeiht mir dass ich den Windhauch erwähne
während das Blei beim letzten Buchstaben
des Spektrums angekommen
einem jeden bedeutet Erde zu fressen
Aber ich muss davon sprechen
dass ich den Windhauch erwachen sah
während die Düsenjets Streifen
auf die Seiten des Himmels schrieben
Ich sah ihn langsam über den Küstenstreifen kommen
sich ausruhen
einschlafen beinah
dann richtete er sich ein wenig auf
und strich durch die Johannisbeersträucher
Ich sah dies heute Morgen
als das Leben gerade die Bäume zeichnete
die im Garten dösten
die Fliegen im Balkonfenster
Die Katzen waren nirgendwo zu sehen
an diesem stillen Morgen
Der Rhabarber hielt
in seinem Wachstum inne
Die ganze Insel ruhte aus
wie am ersten Ruhetag
Im warmen Schatten der großen Bäume
breitete der Morgen einen
grünen Teppich
für ein Picknick aus
Während der Windhauch zum Balkon hoch glitt
fand er ein Buch soeben vom Leben geschrieben
er las es durch von Anfang bis Ende
und entbrannte vor Begeisterung
er fuhr durch alle Straßen
und erzählte den Leuten
was er gelesen hatte
Erzählte den Leuten
von dem großen Wunder
dass das Leben zeichnen und schreiben könne
und er könne lesen
Sigurður Pálsson (1948–2017)
Sag lieber nichts,...
Sag lieber nichts,
Sag den letzten Montag auf,
Sag den Regen vom Vortag auf,
Sag einen Abend auf, nur einen,
Sag mich auf,
Sag nichts.
- Peter Härtling -
„Wann immer du feststellst,...
„Wann immer du feststellst, dass du auf der Seite der Mehrheit bist,
wird es Zeit innezuhalten und nachzudenken.“
- Mark Twain -
- Mark Twain -
Kalendergedicht, Sonntag 28.Juli 2019
JUWELENSCHREIN
In deinem Herzen da muß es sein
So wie in einem Juwelenschrein.
Die Sehnsucht schimmert aus Perlen reich,
Die oftmal werden zu Thränen gleich;
Der Glaube leuchtet mit blauem Schein,
Die Hoffnung schimmert smaragden drein;
Und aus der Tiefe, wo's glühend loht,
Da flammt die Liebe rubinenroth.
Da zuckt der goldene Strahl der Lust,
Daß laut es jubelt durch meine Brust:
In deinem Herzen da muß es sein
So wie in einem Juwelenschrein!
Hermann Rollett (1819-1904)
In deinem Herzen da muß es sein
So wie in einem Juwelenschrein.
Die Sehnsucht schimmert aus Perlen reich,
Die oftmal werden zu Thränen gleich;
Der Glaube leuchtet mit blauem Schein,
Die Hoffnung schimmert smaragden drein;
Und aus der Tiefe, wo's glühend loht,
Da flammt die Liebe rubinenroth.
Da zuckt der goldene Strahl der Lust,
Daß laut es jubelt durch meine Brust:
In deinem Herzen da muß es sein
So wie in einem Juwelenschrein!
Hermann Rollett (1819-1904)
Samstag, 27. Juli 2019
Seine ganze zärtliche Liebe...
Seine ganze zärtliche Liebe zum Leben durchzitterte
ihn in diesem Augenblick und die tiefe Sehnsucht
nach seinem verlorenen Glück.
Aber dann blickte er um sich in die schweigende,
unendlich gleichgültige Ruhe der Natur sah, wie der Fluss
in der Sonne seines Weges zog, wie das Gras sich zitternd bewegte
und die Blumen dastanden, wo sie erblüht waren …
(Thomas Mann - Der kleine Herr Friedmann)
Die Phantasie erlöst uns,...
Die Phantasie erlöst uns,
und der Traum ist unser Befreier.
Der Schlaf hat innere Augen
wichtig ist nur die Reise zu sich selbst.
(Robert Walser)
Der Charakter...
Der Charakter ist eine psychische Gewohnheit,
eine Gewohnheit der Seele.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Kalendergedicht, Samstag 27.Juli 2019
KLEINER ABGESANG AUF DIE MOBILITÄT
Es war kalt in Bogotá.
Alle Restaurants hatten Ruhetag
in Mindelheim an der Mindel.
Auf Fidji strömender Regen.
Helsinki war ausgebucht.
In Turin streikte die Müllabfuhr.
Überall Straßensperren
in Bujambara. Die Stille
über den Dächern von Pécs
war der Panik nahe.
Noch am ehesten auszuhalten
war es unter dem Birnbaum
zu Hause.
Hans-Magnus Enzensberger (*1929)
Freitag, 26. Juli 2019
Wie angenehm lebt es sich...
Wie angenehm
lebt es sich
für einen Augenblick
mit dem Sommerschatten,
diesem Abdruck
der Seele,
warm
auf dem atmenden
Stein.
- Peter Härtling -
Tag folgt auf Tag...
Tag folgt auf Tag. Meine Augen sehen sie immer,
Die goldene Sonne. Einmal wird sie bleiben,
Dort wo ein Schatten aufwölkt.
Bitterlich ist das Versäumen.
(Ingeborg Bachmann, Im Sommer)
Des anderen Bogen spanne nicht...
Des anderen Bogen spanne nicht.
Des anderen Pferd besteige nicht.
Des anderen Fehler betratsche nicht.
Des anderen Sach' interessier dich nicht.
- Mumon -
Kalendergedicht, Freitag 26.Juli 2019
BLUMEN FLATTERN SOMMER
Blumen flattern Sommer
Duft nimmt beide roten Backen voll
Falter wiegen Wald
Goldkäfer schreien
Mücken strampeln himmelauf und ab
heiß im Arm der Fische hängt das Bächlein
Unken patscht Libellenflügel wach
Zweige lachen
tuscheln
sonnen
strömen
Vögel wogen Wiesen
liegen flach
ziehn die Ahorndolden an den Händen
böse schelten Bienen in den Bart
Zwitschern streckt die sommerschweren Glieder
taumelnd tollt des Atems Flügelschlag
und der Augen wilde Rosen springen
Wilhelm Runge (1894-1918)
Donnerstag, 25. Juli 2019
AUFERSTEHUNG
AUFERSTEHUNG
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht
(Marie Luise Kaschnitz)
Kalendergedicht, Donnerstag 25.Juli 2019
Wem nie durch Liebe Leid geschah,
dem ward auch Lieb' durch Lieb' nie nah;
Leid kommt wohl ohne Lieb' allein,
Lieb' kann nicht ohne Leiden sein.
Gottfried von Straßburg (lebte um 1200)
Mittwoch, 24. Juli 2019
AN DIE LIEBE
AN DIE LIEBE
Alle suchen sie dich
und überall lockst du.
Aus tausend Verhüllungen schimmert
dein unenträtselt Gesicht.
Aber wenigen nur
gewährst du Erfüllung,
selige Tage, reines Glück.
Zärtlich wehn dich die Blumen,
die scheuen Gräser,
der Schmetterlinge heiterer Flug;
wilder der Wind
und das ewig sich wandelnde Meer.
Wunderbar strahlst du
aus den Augen des Menschen,
der ein Geliebtes
in seinen Armen hält,
vom tönenden Sternenhimmel überwölbt.
In die zitternde Seele
schweben Schauer
von Leben und Tod.
(Francisca Stoecklin 1894-1931)
Alle suchen sie dich
und überall lockst du.
Aus tausend Verhüllungen schimmert
dein unenträtselt Gesicht.
Aber wenigen nur
gewährst du Erfüllung,
selige Tage, reines Glück.
Zärtlich wehn dich die Blumen,
die scheuen Gräser,
der Schmetterlinge heiterer Flug;
wilder der Wind
und das ewig sich wandelnde Meer.
Wunderbar strahlst du
aus den Augen des Menschen,
der ein Geliebtes
in seinen Armen hält,
vom tönenden Sternenhimmel überwölbt.
In die zitternde Seele
schweben Schauer
von Leben und Tod.
(Francisca Stoecklin 1894-1931)
Was wir können und möchten,...
Was wir können und möchten, stellt sich unserer
Einbildungskraft außer uns und in der Zukunft dar;
wir fühlen eine Sehnsucht nach dem,
was wir schon im Stillen besitzen.
So verwandelt ein leidenschaftliches Vorausergreifen
das wahrhaft Mögliche in ein erträumtes Wirkliches.
(Johann Wolfgang von Goethe)
"Tu den Schritt ...
"Tu den Schritt und wirf einmal alles weg,
so wirst du plötzlich die Welt wieder mit hundert schönen Dingen
auf dich warten sehen."
Hermann Hesse (1877-1962)
Hermann Hesse (1877-1962)
Kalendergedicht, Mittwoch 24.Juli 2019
DER VERLIEBTE KUMMER
Die Liebe weckt an diesem Morgen
Den Kummer der verliebten Sorgen
Mit mir gar zeitig wieder auf;
Die Seufzer wachen in dem Munde,
Die Thränen suchen aus dem Grunde
Des Herzens ihren alten Lauf.
Die Schmiedin meiner süßen Kette
Zieht meine Faulheit aus dem Bette,
In welchem sie der Schlaf noch wiegt.
Ihr Auge schläft, ich aber weine,
Die Einsamkeit sizt auf dem Steine,
Der mir an meinem Herzen liegt.
Johann Christian Günther (1695-1723)
Dienstag, 23. Juli 2019
DORT, WO DIE GRENZEN ENDEN
DORT, WO DIE GRENZEN ENDEN
Dort, wo die Grenzen enden,
die Wege sich vermischen.
Wo das Schweigen anfängt.
Dort dringe ich langsam vor
und bevölkere die Nacht mit Sternen,
mit Worten, mit dem Atem
eines fernen Wassers,
das mich erwartet,
wo die Frühe beginnt.
(Octavio Paz)
Mein unsichtbarer Raum...
Mein unsichtbarer Raum
unter den Weiden
sie versprechen den Sommer
Worte wie ein Lufthauch
sanfte Bewegungen am stillen Nachmittag
Eine schreibende Hand
das Blinzeln in der Sonne
Ein Verständnis von Auge zu Auge
- misanthropholia -
ich liebe diese kühle...
ich liebe diese kühle
der frühen sommermorgen
wenn aufkommendes licht
das nachtgarn des himmels auflöst
ich liebe diese kühle
die den herzschlag beschwichtigt
und den gedanken einen guten grund gibt
länger als einen herzschlag still zu werden
liebe ich diese kühle
wenn die menschen hinter den fenstern
die träume auslüften
wie ein zerknittertes tuch
- Hermann Josef Schmitz -
"Auch einen seichten Fluss...
"Auch einen seichten Fluss durchschreite, als wäre er tief."
- Jürgen von der Wense -
Kalendergedicht, Dienstag 23.Juli 2019
HEIMATLOS
Wir ohne Heimat irren so verloren
und sinnlos durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen plaudern vor den Toren
vertraut im abendlichen Sommerwind.
Er macht den Fenstervorhang flüchtig wehen
und läßt uns in die lang entbehrte Ruh
des sichren Friedens einer Stube sehen
und schließt sie vor uns grausam wieder zu.
Die herrenlosen Katzen in den Gassen,
die Bettler, nächtigend im nassen Gras,
sind nicht so ausgestoßen und verlassen
wie jeder, der ein Heimatglück besaß
und hat es ohne seine Schuld verloren
und irrt jetzt durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen träumen vor den Toren
und wissen nicht, daß wir ihr Schatten sind
Max Herrmann-Neiße (1886-1941)
Montag, 22. Juli 2019
"Sag mir, daß...
"Sag mir, daß ich zu dir zurückfind,
auch wenn die Nächte dunkel sind,
durch die ich reise ..."
- Hugo Ball -
"In mir [.…]
"In mir [.…] ist eine unbezwingbare, ja rasende Sehnsucht nach einem ganz anderen Leben,
als ich es führe und als ich es je führen werde ..."
- Milena Jesenská -
- Milena Jesenská -
einmal stellte ich mich...
einmal stellte ich mich
an meine seite und nahm
mir die schwere der tage
einem windstoss gleich
der die müden blätter
aus den bäumen trägt
einmal stellte ich mich
an meine seite und legte
meine arme lange um mich
tröstete die müde seele
gleich einem stillen strand
an dem das schwere verweht
- Hermann Josef Schmitz -
an meine seite und nahm
mir die schwere der tage
einem windstoss gleich
der die müden blätter
aus den bäumen trägt
einmal stellte ich mich
an meine seite und legte
meine arme lange um mich
tröstete die müde seele
gleich einem stillen strand
an dem das schwere verweht
- Hermann Josef Schmitz -
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Foto: Tim Maas |
"Ich möchte Leuchtturm sein...
"Ich möchte Leuchtturm sein
in Nacht und Wind –
für Dorsch und Stint –
für jedes Boot –
und bin doch selbst
ein Schiff in Not!"
- Wolfgang Borchert -
Gib acht...
Gib acht, dich nicht in fremde Angelegenheiten einzumischen,
ja, lass sie dir noch nicht einmal durch den Kopf gehen;
denn vielleicht bist du nicht fähig, deine eigene Aufgabe zu erfüllen.
(Johannes vom Kreuz (1542-1591)
denn vielleicht bist du nicht fähig, deine eigene Aufgabe zu erfüllen.
(Johannes vom Kreuz (1542-1591)
Kalendergedicht, Montag 22.Juli 2019
MORGENWANDERUNG
Wer recht in Freuden wandern will,
Der geh' der Sonn' entgegen;
Da ist der Wald so kirchenstill,
Kein Lüftchen mag sich regen;
Noch sind nicht die Lerchen wach,
Nur im hohen Gras der Bach
Singt leise den Morgensegen.
Die ganze Welt ist wie ein Buch,
Darin uns aufgeschrieben
In bunten Zeilen manch ein Spruch,
Wie Gott uns treu geblieben;
Wald und Blumen nah und fern
Und der helle Morgenstern
Sind Zeugen von seinem Lieben.
Da zieht die Andacht wie ein Hauch
Durch alle Sinnen leise,
Da pocht ans Herz die Liebe auch
In ihrer stillen Weise,
Pocht und pocht, bis sich's erschließt
Und die Lippe überfließt
Von lautem, jubelndem Preise.
Und plötzlich läßt die Nachtigall
Im Busch ihr Lied erklingen,
In Berg und Tal erwacht der Schall
Und will sich aufwärts schwingen,
Und der Morgenröte Schein
Stimmt in lichter Glut mit ein:
Laßt uns dem Herrn lobsingen!
Emanuel Geibel (1815-1884)
Wer recht in Freuden wandern will,
Der geh' der Sonn' entgegen;
Da ist der Wald so kirchenstill,
Kein Lüftchen mag sich regen;
Noch sind nicht die Lerchen wach,
Nur im hohen Gras der Bach
Singt leise den Morgensegen.
Die ganze Welt ist wie ein Buch,
Darin uns aufgeschrieben
In bunten Zeilen manch ein Spruch,
Wie Gott uns treu geblieben;
Wald und Blumen nah und fern
Und der helle Morgenstern
Sind Zeugen von seinem Lieben.
Da zieht die Andacht wie ein Hauch
Durch alle Sinnen leise,
Da pocht ans Herz die Liebe auch
In ihrer stillen Weise,
Pocht und pocht, bis sich's erschließt
Und die Lippe überfließt
Von lautem, jubelndem Preise.
Und plötzlich läßt die Nachtigall
Im Busch ihr Lied erklingen,
In Berg und Tal erwacht der Schall
Und will sich aufwärts schwingen,
Und der Morgenröte Schein
Stimmt in lichter Glut mit ein:
Laßt uns dem Herrn lobsingen!
Emanuel Geibel (1815-1884)
Sonntag, 21. Juli 2019
Was ist denn das für eine Zeit –?
Was ist denn das für eine Zeit –?
Die Wälder sind voll Traumgetier.
Wenn ich nur wüsste, wer immer so schreit.
Weiss nicht mal, ob es regnet oder schneit,
ob du erfrierst auf dem Weg zu mir –
Die Wälder sind voll von Traumgetier.
Ich unter lauter Schatten –
Es sind Netze gespannt von dir zu mir,
und was sich drin fängt, ist nicht von hier,
ist, was wir längst vergessen hatten.
Wenn ich nur wüsste, wer immer so schreit –
Ich sucht ihm ein wenig zu geben
von jenem stillen Trunk zu zweit;
voll Taumel und voll von Seligkeit
würd ich den Becher ihm heben –
Weiss nicht einmal, ob es schneit oder regnet...
Sah die Sterne nicht mehr, seit ich dich verliess;
kenn den Weg nicht mehr, den du mir gesegnet,
und zweifle sogar, ob du mir begegnet –
Wer war denn das, der mich gehen hiess?
Aber, du findest doch her zu mir –?
Sieh, es wird Zeit, dass ich ende.
Die Wälder sind voll von Traumgetier,
und ich darunter bin nicht von hier...
Ich gäb alles, wenn ich dich fände!
- Alexander Xaver Gwerder -
Leg Deinen Kopf nur leise...
Leg Deinen Kopf nur leise
In meine kühle Hand,
Und nach alter Weise
Träumen wir ins Land.
Wer von uns kennt das Leben!
Man übersieht es kaum.
Man glaubt es ist sein Leben,
Und ist doch nur ein Traum.
Traum und Vorüberfliehen -
Wer weiß, was kommen mag!
Glanz und Glück verblühen
Wie ein Sommertag.
(Hasenclever Walter / 8. Juli 1890 - 22. Juni 1940)
"Erklär mir, Liebe,...
"Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?"
- Ingeborg Bachmann -
Laß dich nicht von ...
Laß dich nicht von dem, was der Kritiker sagt, niederdrücken.
Noch nie wurde zu Ehren eines Kritikers ein Denkmal errichtet,
wohl aber für Kritisierte.
- Anthony de Mello -
- Anthony de Mello -
Kalendergedicht, Sonntag 21.Juli 2019
SONNTAG
Ganz ferne Musik.
Mundharmonika oder Kirchweih.
Es riecht nach Sonne in Sägespänen.
Hemdärmel der Knechte
Bauschen sich, Bohnenblüten.
In Kammern tropft Harz.
Vom Sommer der Zeitung
Schlummert der Ahn
In bestaubten Kamillen.
Radfahrervereine
Läuten schalmeiend vorüber.
Der Biergarten klappert.
Albin Zollinger (1895-1941)
Samstag, 20. Juli 2019
FREMDE SIND WIR AUF DER ERDE ALLE
FREMDE SIND WIR AUF DER ERDE ALLE
Tötet euch mit Dämpfen und mit Messern,
Schleudert Schrecken, hohe Heimatworte,
Werft dahin um Erde euer Leben!
Die Geliebte ist euch nicht gegeben.
Alle Lande werden zu Gewässern,
Unterm Fuß zerrinnen euch die Orte.
Mögen Städte aufwärts sich gestalten,
Niniveh, ein Gottestrotz von Steinen?
Ach, es ist ein Fluch in unserm Wallen ...
Flüchtig muß vor uns das Feste fallen,
Was wir halten, ist nicht mehr zu halten,
Und am Ende bleibt uns nichts als Weinen.
Berge sind, und Flächen sind geduldig ...
Staunen, wie wir auf und nieder weichen.
Fluß wird alles, wo wir eingezogen.
Wer zum Sein noch Mein sagt, ist betrogen.
Schuldvoll sind wir, und uns selber schuldig,
Unser Teil ist: Schuld, sie zu begleichen!
Mütter leben, daß sie uns entschwinden.
Und das Haus ist, daß es uns zerfalle.
Selige Blicke, daß sie uns entfliehen.
Selbst der Schlag des Herzens ist geliehen!
Fremde sind wir auf der Erde Alle,
Und es stirbt, womit wir uns verbinden.
Franz Werfel (1890-1945)
Schlägt ein Herz irgendwo...
Schlägt ein Herz irgendwo, das mich kennt, dem ich fehle?
Kein Schritt neben mir, kein Blick weit und breit.
Erloschen wie Wind mein Namen, meine Seele -
Nichts mehr um mich als Dunkelheit.
- Ricarda Huch -
Der Mensch ist dazu berufen, ...
Der Mensch ist dazu berufen,
in seinem Innersten zu leben und sich selbst so in die Hand zu nehmen,
wie es nur von hier aus möglich ist;
nur von hier aus ist auch die rechte Auseinandersetzung mit der Welt möglich;
nur von hier aus ist auch die rechte Auseinandersetzung mit der Welt möglich;
nur von hier aus kann er den Platz in der Welt finden,
der ihm zugedacht ist.
Edith Stein (1891-1942)
Edith Stein (1891-1942)
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Foto: Tim Maas |
Immerzu in den Worten sein,...
Immerzu in den Worten sein,
Ob man will oder nicht,
Immer am Leben sein,
Voller Worte ums Leben,
Als wären die Worte am Leben,
Als wäre da Leben am Wort.
- Ingeborg Bachmann -
Kalendergedicht, Samstag 20.Juli 2019
AN ***
Wie süß du meiner Seele bist,
Ich weiß es nicht zu sagen!
Was still in meinem Innern sprießt,
Will nicht an's Licht sich wagen.
Vom Lenze, der in meiner Brust
Geweckt ein neues Leben,
Vermag ich, wollend und bewußt,
Den Schleier nicht zu heben.
Es sei! Wozu versucht ich auch
Ihn absichtsvoll zu lüften?
Du merkst den warmen Frühlingshauch
An seinen linden Düften.
In meinen feuchten Augen siehst
Du Licht des Morgens tagen -
Wie süß du meiner Seele bist
Brauch' ich dir nicht zu sagen!
Betty Paoli (1814-1894)
Freitag, 19. Juli 2019
Wunderbarer Zauber,...
Wunderbarer Zauber, glühend trauriger
Zauber der Vergänglichkeit! Und noch
wunderbarer, das Nichtvergangensein,
nicht Erloschensein des Gewesenen,
sein geheimes Fortleben, seine geheime
Ewigkeit, seine Erweckbarkeit in
der Erinnerung…
(Hermann Hesse)
„Es gibt große Worte...
„Es gibt große Worte, die so leer sind,
daß man ganze Völker darin gefangen halten kann.“
- Stanislaw Jerzy Lec -
- Stanislaw Jerzy Lec -
Kalendergedicht, Freitag 19.Juli 2019
MEIN TANZLIED
(Dem schönen Schauspieler Erich Kaiser-Titz)
Aus mir braust finstre Tanzmusik,
Meine Seele kracht in tausend Stücken.
Der Teufel holt sich mein Mißgeschick,
Um es ans brandige Herz zu drücken.
Die Rosen fliegen mir aus dem Haar
Und mein Leben saust nach allen Seiten,
So tanz ich schon seit tausend Jahr,
Seit meiner ersten Ewigkeiten.
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
(Dem schönen Schauspieler Erich Kaiser-Titz)
Aus mir braust finstre Tanzmusik,
Meine Seele kracht in tausend Stücken.
Der Teufel holt sich mein Mißgeschick,
Um es ans brandige Herz zu drücken.
Die Rosen fliegen mir aus dem Haar
Und mein Leben saust nach allen Seiten,
So tanz ich schon seit tausend Jahr,
Seit meiner ersten Ewigkeiten.
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Donnerstag, 18. Juli 2019
Ich war nicht für die Wirklichkeit bestimmt,...
Ich war nicht für die Wirklichkeit bestimmt,
doch das Leben kam und fand mich.
- Fernando Pessoa -
du ziehst die schatten breit...
du ziehst die schatten breit
mit deinen armen und jedes wort,
das du auf sie gegeben hast,
krümmt sich im licht,
das sich in deiner stimme dehnt.
du weisst, der tod verlangt nicht,
dass du schweigst. am wegrand
sammelt sich der staub
gegebener versprechen,
der an den lippen leise wird.
für einen langen augenblick
ist alles still und jedes bild
ist weiss in seinem schatten,
der dich zusammenhält
aus seiner sicht
- Andreas Altmann -
Man besitzt nie etwas wirklich...
Man besitzt nie etwas wirklich. Nur eine Zeitlang bewahrt man es auf.
Ist man nicht fähig, es wegzugeben, wird man selbst festgehalten.
- Anthony de Mello -
Kalendergedicht, Donnerstag 18.Juli 2019
NATURRECHT
Von Blum‘ und Frucht, so die Natur erschafft,
Darf ich zur Lust, wie zum Bedürfnis, pflücken.
Ich darf getrost nach allem Schönen blicken,
Und atmen darf ich jeder Würze Kraft.
Ich darf die Traub‘, ich darf der Biene Saft,
Des Schafes Milch in meine Schale drücken.
Mir front der Stier; mir beut das Roß den Rücken;
Der Seidenwurm spinnt Atlas mir und Taft.
Es darf das Lied der holden Nachtigallen
Mich, hingestreckt auf Flaumen oder Moos,
Wohl in den Schlaf, wohl aus dem Schlafe hallen.
Was wehrt es denn mir Menschensatzung, bloß
Aus blödem Wahn, in Mollys Wonneschoß,
Von Lieb und Lust bezwungen, hinzufallen?
Gottfried August Bürger (1747-1794)
Mittwoch, 17. Juli 2019
einmalige gelegenheit
einmalige gelegenheit
leben - die einzige art,
blätter zu treiben,
auf dem sand nach luft zu schnappen,
sich emporzuschwingen auf flügeln;
ein hund zu sein
oder sein fell zu streicheln;
den schmerz zu unterscheiden
von allem, was nicht er ist;
in ereignissen platz zu haben,
in aussichten unterzukommen,
zwischen irrtümern den kleinsten zu suchen.
einmalige gelegenheit,
einen augenblick lang zu behalten,
worüber man
bei gelöschtem licht sprach;
und wenigstens einmal
über einen stein zu stolpern,
nass zu werden im regen,
die schlüssel im gras zu verlieren;
dem funken im wind mit den augen zu folgen;
und ständig etwas wichtiges
nicht zu wissen.
- Wislawa Szymborska -
im grünen ...
im grünen ...
frauen- und vogelköpfe
im laub, das aussieht wie laub
der aquarellmaler.
hier kann man sitzen
und langsam mit der luft sprechen.
grün: bis unter die herzen,
unter den kinderhimmel,
in dem jeder verdacht
zur wolke wird.
es macht kopfweh, weil es
noch bei geschlossenen augen
grün bleibt.
aber man kann auch darüber lachen
und sich ein blaues fahrrad ausdenken,
mit dem man den horizont entlang
fährt.
frauen- und vogelköpfe
im laub, das aussieht wie laub
der aquarellmaler.
hier kann man sitzen
und langsam mit der luft sprechen.
grün: bis unter die herzen,
unter den kinderhimmel,
in dem jeder verdacht
zur wolke wird.
es macht kopfweh, weil es
noch bei geschlossenen augen
grün bleibt.
aber man kann auch darüber lachen
und sich ein blaues fahrrad ausdenken,
mit dem man den horizont entlang
fährt.
- karl krolow -
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Foto: Tim Maas |
Es regnet – doch sie merkt es kaum,...
Es regnet – doch sie merkt es kaum,
weil ihr Herz vor Glück erzittert:
Im Kuss versank die Welt im Traum.
Ihr Kleid ist nass und ganz zerknittert
und so verächtlich hochgeschoben,
als wären ihre Knie für alle da.
Ein Regentropfen, der zu Nichts zerstoben,
der hat es gesehen, was niemand sonst sah.
So tief hat sie noch nie gefühlt –
so sinnlos selig müssen Tiere sein!
Ihr Haar ist wie zu einem Heiligenschein zerwühlt
Laternen spinnen sich drin ein.
- Wolfgang Borchert -
Den Charakter eines Menschen...
Den Charakter eines Menschen erkennt man an den Scherzen,
die er übel nimmt.
Christian Morgenstern (1871-1914)
Christian Morgenstern (1871-1914)
Kalendergedicht, Mittwoch 17.Juli 2019
ACH, WAS WIRD UNS HIER BEREITET!
Ach, was wird uns hier bereitet!
Bett und Lager unter Bäumen
Grünes Dunkel, trocknes Laub,
wenig Sonne, feuchter Duft.
Ach was wird uns hier bereitet!
Wohin treibt uns das Verlangen?
Dies erwirken? dies verlieren?
Sinnlos trinken wir die Asche
und ersticken unsern Vater.
Wohin treibt uns das Verlangen?
Wohin treibt uns das Verlangen?
Aus dem Hause treibt es fort.
Franz Kafka (1883-1924)
Dienstag, 16. Juli 2019
Du kannst über die Wirklichkeit nichts aussagen...
Du kannst über die Wirklichkeit nichts aussagen,
wenn du nur die sichtbare Oberfläche der Dinge
beschreibst, die jedermann vor Augen hat.
Die Wirklichkeit steckt hinter den Dingen,
und man kann nur in Bildern von ihr sprechen.
(Hans Bemmann/ Stein und Flöte)
Wozu sollen wir Menschen...
Wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen?
Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben.
Georg Büchner (1813-1837)
Georg Büchner (1813-1837)
ERINNERUNG
ERINNERUNG
Hier will ich sitzen und ruhen
An diesem lieblichen Ort,
Will schweifen lassen das Auge
In's Weite von Ort zu Ort.
Will stille sitzen und denken
An Alles was ich geliebt,
Will Alles, Alles vergessen,
Was mich verletzt und betrübt.
Und kann ich es denn verbannen,
Woran ich nicht denken will?
Wie bleibt es beim frohen Erinnern
Im Herzen so öd' und so still!
Es sind so innig verbunden
In mir die Freuden und Weh'n,
Daß nur vereint sie entschlummern,
Vereinigt nur aufersteh'n!
Luise Büchner (1821-1877)
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Foto: Tim Maas |
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