Montag, 31. Dezember 2018
Das Jahresende...
Das Jahresende ist kein Ende und kein Anfang, sondern
ein Weiterleben mit der Weisheit, die uns die Erfahrung gelehrt hat.
Harold Glen Borland (1900-1978)
Harold Glen Borland (1900-1978)
"Blicklos schweigt nun dein Aug...
"Blicklos
schweigt nun dein Aug in mein Aug sich,
wandernd
heb ich dein Herz an die Lippen,
hebst du mein Herz an die deinen:
was wir jetzt trinken,
stillt den Durst der Stunden;
was wir jetzt sind,
schenken die Stunden der Zeit ein."
(Paul Celan)
Man muss sich...
Man muss sich ein bestimmtes Quantum Zeit gönnen,
wo man nichts tut, damit einem etwas einfällt.
Mortimer J. Adler (1902-2001)
Mortimer J. Adler (1902-2001)
Kalendergedicht, Montag 31.Dezember 2018
Wenn aller Raketenspuk verweht,
Der hoch ergötzt die lieben Kleinen,
Dann werden in stiller Majestät,
Die alten ewigen Sterne scheinen.
Paul Heyse (1830-1914)
Sonntag, 30. Dezember 2018
langes Warten...
langes
Warten ob nicht doch
einmal in der bläulichen
Abendkühle die Drähte der
Tramlinie zu
singen beginnen unter dem
Schritt eines Engels
der vorübergeht
Virgilio Masciadri (1963-2014)
Ganz still zuweilen wie ein Traum
Ganz still zuweilen wie ein Traum
Ganz still zuweilen wie ein Traum
klingt in dir auf ein fernes Lied...
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will...
und wie ein Traum ganz leis und still
verklingt es wieder, wie es kam...
Wie plötzlich mitten im Gewühl
der Straße, mitten oft im Winter
ein Hauch von Rosen dich umweht,
wie oder dann und wann ein Bild
aus längst vergessenen Kindertagen
mit fragenden Augen vor dir steht...
Ganz still und leise, wie ein Traum...
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will,
und wie ein Traum ganz leis und still
verblasst es wieder, wie es kam.
Cäsar Flaischlen (1864-1920)
Der Mensch ist ein Geheimnis....
Der Mensch ist ein Geheimnis. Man muß es enträtseln, und wenn du es ein ganzes Leben lang enträtseln wirst, so sage nicht, du hättest die Zeit verloren. Ich beschäftige mich mit diesem Geheimnis, denn ich will ein Mensch sein.
Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881)
Kalendergedicht, Sonntag 30.Dezember 2018
VON GUTEN MÄCHTEN
Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Dietrich Bonhoeffer (1906-1945)
Samstag, 29. Dezember 2018
"Und wenn ich jetzt vom Buch die Augen hebe,...
"Und wenn ich jetzt vom Buch die Augen hebe,
wird nichts befremdlich sein und alles groß.
Dort draußen ist, was ich hier drinnen lebe,
und hier und dort ist alles grenzenlos."
(Rainer Maria Rilke)
"In dein spiegelglattes Leben...
"In dein spiegelglattes Leben
wirft das Schicksal eine Stunde.
Sieh, da wirbeln und erheben
plötzlich Wellen sich vom Grunde –
Wellen, die verschlossen schliefen
und nun aus dem schwarzen Schweigen
ihrer unbekannten Tiefen
an die helle Fläche steigen."
A. de Nora (1864-1936)
Es kommt darauf an,...
Es kommt darauf an, daß du auf etwas zu gehst,
nicht daß du ankommst; denn man kommt nirgendwo an;
außer im Tode.
– Antoine de Saint-Exupéry -
– Antoine de Saint-Exupéry -
Kalendergedicht, Samstag 29.Dezember 2018
TALISMAN
Daß dieses Herz, das unruhvolle,
Nicht ganz in sich verzagen darf,
Auf welche öde, kalte Scholle
Es auch ein hartes Schicksal warf!
Daß meine Augen leuchtend glänzen,
Als schauten sie gelobtes Land,
Als weilten sie auf Siegeskränzen,
Anstatt auf Kett und Sklavenband!
Das dank ich einem Talismane,
Den mir ein Bote Gottes gab,
Ein Engel mit der Friedensfahne,
Erhaben über Tod und Grab.
Und soll ich noch das Kleinod nennen?
O liebe nur - dann ist es Dein!
Dann magst Du's einer Welt bekennen:
Im Lieben nur ist Trost allein!
Louise Otto (1819-1895)
Freitag, 28. Dezember 2018
Nicht eine Reinschrift von Gewesenem ...
Nicht eine Reinschrift von Gewesenem wird
mir meine Zukunft sein, so schrieb ich, glaubend
der Engel stünde da, mir dies erlaubend
durch sein zu Gott unendlich unbeirrt
gewandtes Antlitz. Aber schließlich wandte
ich mich und fand an seiner Stelle dich,
der Umgang hat mit Engeln. Plätzlich wich
Siechtum von mir, da ich den Trost erkannte;
mein Pilgerstab schlug aus in deinem Blick
und stand im Morgentau. Und mein Geschick
wird künftig nicht des alten Abschrift werden:
laß das zerlesene Buch, das mich betrifft,
und schreib mir meiner Zukunft Überschrift,
mein neuer Engel, unverhofft auf Erden.
(Rainer Maria Rilke, 1908)
„Wer überleben will...
„Wer überleben will, kommt ohne ein Quantum Verachtung nicht aus“, sagte ich und schaute zu der Katze schräg gegenüber, die ihrerseits sehnsüchtig auf die schattige Welt im Hof hinunterblickte.
- Jens Steiner: Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit -
Kalendergedicht, Freitag 28.Dezember 2018
FRÜHLINGSTRAUM
Ich träumte von bunten Blumen,
So wie sie wohl blühen im Mai,
Ich träumte von grünen Wiesen,
Von lustigem Vogelgeschrei.
Und als die Hähne krähten,
Da ward mein Auge wach;
Da war es kalt und finster,
Es schrien die Raben vom Dach.
Doch an den Fensterscheiben
Wer malte die Blätter da?
Ihr lacht wohl über den Träumer,
Der Blumen im Winter sah?
Ich träumte von Lieb um Liebe,
Von einer schönen Maid,
Von Herzen und von Küssen,
Von Wonn und Seligkeit.
Und als die Hähne krähten,
Da ward mein Herze wach;
Nun sitz ich hier alleine
Und denke dem Traume nach.
Die Augen schließ ich wieder,
Noch schlägt das Herz so warm.
Wann grünt ihr Blätter am Fenster?
Wann halt ich dich, Liebchen, im Arm?
Wilhelm Müller (1794-1827)
Donnerstag, 27. Dezember 2018
AUFBLENDE
AUFBLENDE
Weil wir liebten,
als alles noch selten war.
Weil wir glaubten,
und das ist dasselbe.
Weil noch nichts versucht war,
konnten wir weiter.
- Florian Seidel -
Manchmal fühlt sie: Das Leben ist gross,...
Manchmal fühlt sie: Das Leben ist gross,
Wilder, wie Ströme, die schäumen,
Wilder, wie Sturm in den Bäumen.
Und leise lässt sie die Stunden los
Und schenkt ihre Seele den Träumen.
Dann erwacht sie. Da steht ein Stern
Still überm leisen Gelände,
Und ihr Haus hat ganz weisse Wände –
Da weiss sie: Das Leben ist fremd und fern –
Und faltet die alternden Hände.
(Rainer Maria Rilke)
UNTERM SCHNEE
UNTERM SCHNEE
Alle Zäune eingeschneit
Die Sonne ein Stern im weißen Geäst
Legt Bahnen in verblasstes Leben
Hier stand die Bank
Hier muss sie gestanden haben
Der Winter hat aufgeräumt
in unseren Köpfen
hat uns vom Herzen den Sommer gerollt
wie Stroh für die Scheune
Nur selten noch Duft
Nur selten Geheimnis
(Angelica Seithe)
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Foto: Tim Maas |
Die besinnlichen Tage...
Die besinnlichen Tage zwischen Weihnachten und Neujahr
haben schon manchen um die Besinnung gebracht.
Joachim Ringelnatz (1883-1934)
HERZ ÜBER KOPF
HERZ ÜBER KOPF
Wir bewahren uns den Engel im Rücken.
Wir vergessen was Gewohnheit war.
Wir verschenken unsere Masken
und verstellen Stimmen.
In unseren Küssen schläft ein Durst,
der nie gestillt sein will.
Behutsam verbergen wir ihn
im zornigen Stachel der Bienen.
Wir verstecken uns vor dem bösen Blick,
in der zarten Falte zwischen Himmel und Meer.
In unseren Küssen schläft die Lust.
Wir finden uns Nacht für Nacht.
Eine Rose fällt uns zu.
- Florian Seidel -
Wir bewahren uns den Engel im Rücken.
Wir vergessen was Gewohnheit war.
Wir verschenken unsere Masken
und verstellen Stimmen.
In unseren Küssen schläft ein Durst,
der nie gestillt sein will.
Behutsam verbergen wir ihn
im zornigen Stachel der Bienen.
Wir verstecken uns vor dem bösen Blick,
in der zarten Falte zwischen Himmel und Meer.
In unseren Küssen schläft die Lust.
Wir finden uns Nacht für Nacht.
Eine Rose fällt uns zu.
- Florian Seidel -
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Foto: Tim Maas |
Was lange bestehen soll,...
Was lange bestehen soll, entsteht langsam.
Arthur Schopenhauer (1788-1860)
Kalendergedicht, Donnerstag 27.Dezember 2018
DAS JAHR GEHT STILL ZU ENDE
Das Jahr geht still zu Ende,
nun sei auch still, mein Herz!
In Gottes treue Hände
leg ich nun Freud und Schmerz.
Und was dies Jahr umschlossen,
was Gott der Herr nur weiß,
die Tränen, die geflossen,
die Wunden brennend heiß.
Eleonore Fürstin von Reuß (1835-1903)
Mittwoch, 26. Dezember 2018
"Alles beginnt mit der Sehnsucht...
"Alles beginnt mit der Sehnsucht.
Immer ist im Herzen Raum für mehr,
für Schöneres, Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille,
nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf ..."
(Nelly Sachs)
Ich glaube, dass wir...
Ich glaube, dass wir einen Funken jenes ewigen Lichts in uns tragen, das im Grunde des Seins leuchten muss und welches unsere schwachen Sinne nur von Ferne ahnen können.Diesen Funken in uns zur Flamme werden zu lassen und das Göttliche in uns zu verwirklichen, ist unsere höchste Pflicht.
- Johann Wolfgang von Goethe -
Dankeschön, Marlene, für dieses tolle Gemälde,
ich freue mich immer noch wie verrückt! :))
ღ
Wie vieles kann man leise tun?
Wie vieles kann man leise tun?
Welch wunderbare Aufgabe:
Ein Dasein ohne Lärm.
(Romano Guardini)
Kalendergedicht, Mittwoch 26.Dezember 2018
WENN IM ÖFLEIN`S FEUER KRACHT
wenn im öflein ´s feuer kracht,
winter durch das fenster lacht,
wenn die flocken lustig toben,
sollst den lieben werwolf loben.
fröhlich streunt er durch das feld,
fühlt den frieden dieser welt,
sträubt sein fellchen voller wonne,
frank und frei von aller sonne.
liebe kinder, nichts wie raus!
hurtig aus dem vaterhaus,
nehmt vom süßen weihnachtskuchen,
geht mit ihm den werwolf suchen.
H.C. Artmann (1921-2000)
Dienstag, 25. Dezember 2018
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr,...
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr,
da hörst Du alle Herzen gehen und schlagen
wie Uhren, welche Abendstunden sagen:
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr,
da werden alle Kinderaugen groß,
als ob die Dinge wüchsen die sie schauen,
und mütterlicher werden alle Frauen
und alle Kinderaugen werden groß.
Da musst du draußen gehn im weiten Land
willst du die Weihnacht sehn, die unversehrte
als ob dein Sinn der Städte nie begehrte,
so musst du draußen gehen im weiten Land.
Dort dämmern große Himmel über dir
Die auf entfernten weißen Wäldern ruhen,
die Wege wachsen unter deinen Schuhen
und große Himmel dämmern über dir.
Und in den großen Himmeln steht ein Stern
Ganz aufgeblüht zu selten großer Helle,
die Fernen nähern sich wie eine Welle
und in den großen Himmeln steht ein Stern.
(Rainer Maria Rilke)
Ich werde Weihnachten...
Ich werde Weihnachten in meinem Herzen ehren und versuchen,
es das ganze Jahr hindurch aufzuheben.
Charles Dickens (1812-1870)
Charles Dickens (1812-1870)
Kalendergedicht, Dienstag 25.Dezember 2018
ÜBER DIE GEBURT JESU
Nacht / mehr denn lichte Nacht! Nacht / lichter als der Tag /
Nacht / heller als die Sonn' / in der das Licht geboren /
Das Gott / der Licht / in Licht wohnhafftig / ihm erkohren:
O Nacht / die alle Nacht' und Tage trotzen mag!
O freudenreiche Nacht / in welcher Ach und Klag /
Vnd Finsternüß / und was sich auff die Welt verschworen
Vnd Furcht und Höllen-Angst und Schrecken war verlohren.
Der Himmel bricht! doch fällt numehr kein Donnerschlag.
Der Zeit und Nächte schuff / ist dise Nacht ankommen!
Vnd hat das Recht der Zeit / und Fleisch an sich genommen!
Vnd unser Fleisch und Zeit der Ewikeit vermacht.
Der Jammer trübe Nacht / die schwartze Nacht der Sünden
Des Grabes Dunckelheit muß durch die Nacht verschwinden.
Nacht lichter als der Tag! Nacht mehr denn lichte Nacht!
Andreas Gryohius (1616-1664)
Montag, 24. Dezember 2018
"Wenn es Winter sein wird...
"Wenn es Winter sein wird, werde ich Erinnerungen haben, sanfter, reicher und herrlicher als je. Ich fühle das. Als ob ich kostbare Gewebe in Truhen hätte, die ich nicht öffnen kann, weil ungeordnete Tage wie schwere Gefäße auf ihren Deckeln stehen. Einmal wird Ordnung sein, und ich werde die Deckel heben und durch dichten Duft nach den Stoffen greifen, die zu entfalten ein Fest ist."
(Rainer Maria Rilke)
Solange man Kind ist,...
Solange man Kind ist, hat man Phantasie genug, und sei es auch eine Stunde lang im dunklen Zimmer, seine Seele auf dem Höhepunkt zu halten, auf dem Höhepunkt der Erwartungen; ist man älter, wirkt sich die Phantasie leicht so aus, dass man vom Weihnachtsbaum schon gelangweilt ist, bevor man ihn zu sehen bekommt.
Søren Aabye Kierkegaard (1813-1855)
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Foto: Tim Maas |
Schwebe hernieder, heilige Nacht,...
Schwebe hernieder, heilige Nacht,
leuchte uns wieder, Stern voller Pracht.
Greif in die Saiten, himmlischer Chor:
Schönste der Zeiten, steige empor!
Clara Forrer (1881-1932)
Kalendergedicht, Montag 24.Dezember 2018
VOM HIMMEL HOCH DA KOMM ICH HER
Vom Himmel hoch, da komm ich her.
Ich bring euch gute, neue Mär.
Der guten Mär bring ich so viel,
Davon ich sing'n und sagen will.
Euch ist ein Kindlein heut geborn,
Von einer Jungfrau auserkorn,
Ein Kindelein so zart und fein,
Das soll eur Freud und Wonne sein.
Es ist der Herr Christ, unser Gott.
Der will euch führn aus aller Not.
Er will eur Heiland selber sein,
Von allen Sünden machen rein.
Er bringt euch alle Seligkeit,
Die Gott der Vater hat bereit't,
Daß ihr mit uns im Himmelreich
Sollt leben nun und ewiglich.
So merket nun das Zeichen recht:
Die Krippen, Windelein so schlecht.
Da findet ihr das Kind.gelegt,
Das alle Welt erhält und trägt.
Des laßt uns alle fröhlich sein
Und mit den Hirten gehn hinein,
Zu sehn, was Gott uns hat beschert
Mit seinem lieben Sohn verehrt.
Merk auf, mein Herz, und sieh dort hin.
Was liegt doch in dem Krippelein?
Wes ist das schöne Kindelein?
Es ist das liebe Jesulein.
Sei willekomm, du edler Gast!
Den Sünder nicht verschmähet hast
Und kommst ins Elend her zu mir
Wie soll ich immer danken dir?
Ach Herr, du Schöpfer aller Ding,
Wie bist du worden so gering,
Daß du da liegst auf dürrem Gras.
Davon ein Rind und Esel aß!
Und wär die Welt viel mal so weit,
Von Edelstein und Gold bereit't,
So wär sie doch dir viel zu klein,
Zu sein ein enges Wiegelein.
Der Sammet und die Seiden dein,
Das ist grob Heu und Windelein,
Darauf du Kön'g so groß und reich
Herprangst, als wär's dein Himmelreich.
Das hat also gefallen dir,
Die Wahrheit anzuzeigen mir,
Wie aller Welt Macht, Ehr und Gut
Vor dir nichts gilt, nichts hilft noch tut.
Ach mein herzliebes Jesulein,
Mach dir ein rein, sanft Bettelein,
Zu ruhen in meins Herzens Schrein,
Daß ich nimmer vergesse dein.
Davon ich allzeit fröhlich sei,
Zu springen, singen immer frei
Das rechte Susaninne schon,
Mit Herzenslust den süßen Ton.
Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron,
Der uns schenkt seinen ein'gen Sohn.
Des freuen sich der Engel Schar
Und singen uns ein neues Jahr.
Martin Luther (1483-1546)
Sonntag, 23. Dezember 2018
DIE ENGEL
DIE ENGEL
Sie haben alle müde Münde
und helle Seelen ohne Saum.
Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)
geht ihnen manchmal durch den Traum.
Fast gleichen sie einander alle;
in Gottes Gärten schweigen sie,
wie viele, viele Intervalle
in seiner Macht und Melodie.
Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
sind sie die Wecker eines Winds:
als ginge Gott mit seinen weiten
Bildhauerhänden durch die Seiten
im dunklen Buch des Anbeginns.
(Rainer Maria Rilke)
Sie haben alle müde Münde
und helle Seelen ohne Saum.
Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)
geht ihnen manchmal durch den Traum.
Fast gleichen sie einander alle;
in Gottes Gärten schweigen sie,
wie viele, viele Intervalle
in seiner Macht und Melodie.
Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
sind sie die Wecker eines Winds:
als ginge Gott mit seinen weiten
Bildhauerhänden durch die Seiten
im dunklen Buch des Anbeginns.
(Rainer Maria Rilke)
"Ich wollte Schnee sein...
"Ich wollte Schnee sein, mitten im August
Und langsam von den Rändern her vergehn,
Langsam mich selbst vergessend, ich hätt Lust
Dabei mir selber singend zuzusehn."
(Silja Walter)
Dann werde ich...
Dann werde ich
auf einem schwarzen Stein am Meer sitzen.
Ich werde den Möwen mit meinen Augen folgen
und nicht müde werden.
Wenn die Flut über meine Füße spült,
werde ich mich nicht wegbewegen.
Dann werde ich noch einmal
darüber nachdenken, wer ich war
und wer ich sein wollte.
Endlich wird mir nichts mehr leid tun
und ich werde mir alles vergeben.
Dann wirst du mich rufen,
ich werde dich hören, aber nicht kommen.
Ich werde auf dem Stein festwachsen
und meinen Namen mit deiner Stimme sprechen.
Ich werde in deiner Stimme und in meinem Namen sein
und mich lieben wie noch nie.
(U. Schaffer)
auf einem schwarzen Stein am Meer sitzen.
Ich werde den Möwen mit meinen Augen folgen
und nicht müde werden.
Wenn die Flut über meine Füße spült,
werde ich mich nicht wegbewegen.
Dann werde ich noch einmal
darüber nachdenken, wer ich war
und wer ich sein wollte.
Endlich wird mir nichts mehr leid tun
und ich werde mir alles vergeben.
Dann wirst du mich rufen,
ich werde dich hören, aber nicht kommen.
Ich werde auf dem Stein festwachsen
und meinen Namen mit deiner Stimme sprechen.
Ich werde in deiner Stimme und in meinem Namen sein
und mich lieben wie noch nie.
(U. Schaffer)
"Der Geist ist...
"Der Geist ist sein eigener Herr
und er kann aus der Hölle den Himmel und aus dem Himmel die Hölle machen."
John Milton (1608-1674)
John Milton (1608-1674)
Kalendergedicht, Sonntag 23.Dezember 2018
DIE NACHT VOR DEM HEILIGEN ABEND
Die Nacht vor dem heiligen Abend,
da liegen die Kinder im Traum.
Sie träumen von schönen Sachen
und von dem Weihnachtsbaum.
Und während sie schlafen und träumen
wird es am Himmel klar
und durch den Himmel fliegen
drei Englein wunderbar.
Sie tragen ein holdes Kindlein,
das ist der heilige Christ.
Es ist so fromm und freundlich
wie keins auf Erden ist.
Und während es über die Dächer
still durch den Himmel fliegt,
schaut es in jedes Bettlein,
wo nur ein Kindlein liegt.
Und freut sich über alle,
die fromm und freundlich sind,
denn solche liebt von Herzen
das himmlische Kind.
Heut schlafen noch die Kinder
und sehen es nur im Traum,
doch morgen tanzen und springen sie
um den Weihnachtsbaum.
Robert Reinick (1805-1852)
Samstag, 22. Dezember 2018
Von dem Moment an...
Von dem Moment an, in welchem du zweifelst, dass du fliegen kannst,
wirst du es nie mehr wieder können.
Sir James Matthew Barrie (1860-1937)
(...) Wo alle loben,...
(...)
Wo alle loben, habt Bedenken
Wo alle spotten, spottet nicht
Wo alle geizen, wagt zu schenken
Wo alles dunkel ist, macht Licht.
- Lothar Zenetti -
Sobald jemand...
Sobald jemand in einer Sache Meister geworden ist,
sollte er in einer neuen Sache Schüler werden.
Gerhart Hauptmann (1862-1946)
Gerhart Hauptmann (1862-1946)
Kalendergedicht, Samstag 22.Dezember 2018
ALLES STILL!
Alles still! Es tanzt den Reigen
Mondenstrahl in Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.
Alles still! Vergeblich lauschet
Man der Krähe heisrem Schrei.
Keiner Fichte Wipfel rauschet,
Und kein Bächlein summt vorbei.
Alles still! Die Dorfeshütten
Sind wie Gräber anzusehn,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofs stehn.
Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht –
Heiße Tränen niedertropfen
Auf die kalte Winterpracht.
Theodor Fontane (1819-1898)
Freitag, 21. Dezember 2018
"klagenvoll...
"klagenvoll und - ja, dieser Tag scheint
hinauf zu dämmern ins
Unwohnliche: doch
die Muskeln des Lichts strecken sich schon
irgendwo in der Grautonskala
der Wände:
Grashalme, bachseits, und Taufragmente
glitzern, wie vereinzelte Klänge
noch vorm Wort:
geh eine Strecke, entlang
der Rinnsale, die in andere münden, wie ein
Fenster sich öffnet
ins nächste:
leg die Geographie der Flüsse
über
dein leeres Blatt,
sprich mit dem Atem die Verben aus,
die in Reglosigkeit darauf
warten:
und, ich weiß, die Worte werden sich
entpuppen, gratias agimus
terrae, während der
Dämmerung ..."
(Jürgen Brôcan)
„Der ewige Jammer...
„Der ewige Jammer mit den Weltverbesserern ist,
dass sie nie bei sich selber anfangen.“
- Thornton Wilder -
- Thornton Wilder -
Kalendergedicht, Freitag 21.Dezember 2018
FERN IM OSTEN WIRD ES HELLE
Fern im Osten wird es helle,
Graue Zeiten werden jung;
Aus der lichten Farbenquelle
Einen langen tiefen Trunk!
Alter Sehnsucht heilige Gewährung,
Süße Lieb in göttlicher Verklärung.
Endlich kommt zur Erde nieder
Aller Himmel selges Kind,
Schaffend im Gesang weht wieder
Um die Erde Lebenswind,
Weht zu neuen ewig lichten Flammen
Längst verstiebte Funken hier zusammen.
Überall entspringt aus Grüften
Neues Leben, neues Blut;
Ewgen Frieden uns zu stiften
Taucht Er in die Lebensflut;
Steht mit vollen Händen in der Mitte,
Liebevoll gewärtig jeder Bitte.
Lasse seine milden Blicke
Tief in deine Seele gehn,
Und von seinem ewgen Blicke
Sollst du dich ergriffen sehn.
Alle Herzen, Geister und die Sinnen
Werden einen neuen Tag beginnen.
Greife dreist nach seinen Händen,
Präge dir sein Antlitz ein,
Musst dich immer nach Ihm wenden,
Blüte nach dem Sonnenschein;
Wirst du nur dein ganzes Herz Ihm zeigen,
Bleibt Er wie ein treues Weib dir eigen.
Unser ist sie nun geworden
Gottheit, die uns oft erschreckt,
Hat im Süden und im Norden
Himmelskeime rasch geweckt,
Und so lass im vollen Gottesgarten
Treu uns jede Knosp und Blüte warten.
Novalis (1772-1801)
Fern im Osten wird es helle,
Graue Zeiten werden jung;
Aus der lichten Farbenquelle
Einen langen tiefen Trunk!
Alter Sehnsucht heilige Gewährung,
Süße Lieb in göttlicher Verklärung.
Endlich kommt zur Erde nieder
Aller Himmel selges Kind,
Schaffend im Gesang weht wieder
Um die Erde Lebenswind,
Weht zu neuen ewig lichten Flammen
Längst verstiebte Funken hier zusammen.
Überall entspringt aus Grüften
Neues Leben, neues Blut;
Ewgen Frieden uns zu stiften
Taucht Er in die Lebensflut;
Steht mit vollen Händen in der Mitte,
Liebevoll gewärtig jeder Bitte.
Lasse seine milden Blicke
Tief in deine Seele gehn,
Und von seinem ewgen Blicke
Sollst du dich ergriffen sehn.
Alle Herzen, Geister und die Sinnen
Werden einen neuen Tag beginnen.
Greife dreist nach seinen Händen,
Präge dir sein Antlitz ein,
Musst dich immer nach Ihm wenden,
Blüte nach dem Sonnenschein;
Wirst du nur dein ganzes Herz Ihm zeigen,
Bleibt Er wie ein treues Weib dir eigen.
Unser ist sie nun geworden
Gottheit, die uns oft erschreckt,
Hat im Süden und im Norden
Himmelskeime rasch geweckt,
Und so lass im vollen Gottesgarten
Treu uns jede Knosp und Blüte warten.
Novalis (1772-1801)
Donnerstag, 20. Dezember 2018
Am Ufer der Wehmut ...
Am Ufer der Wehmut blühen die Sterne.
Friederike Mayröcker (* 20. Dezember 1924 in Wien)
Ich muss immer an dich denken...
Ich muss immer an dich denken
und ich weiß gar nicht, warum,
ich denk vorwärts in die Zukunft,
rückwärts zur Erinnerung.
Ich muss immer an dich denken
und das macht mich ganz verrückt,
ich denk im Kreis und um die Ecke,
denk Dich in Scheiben und am Stück.
(Christiane Rösinger)
"Nichts hält die wahre Hoffnung auf...
"Nichts hält die wahre Hoffnung auf. Sie fliegt mit Schwalbenflügeln."
(William Shakespeare)
Kalendergedicht, Donnerstag 20.Dezember 2018
RAUREIF VOR WEIHNACHTEN
Das Christkind ist durch den Wald gegangen,
sein Schleier blieb an den Zweigen hangen,
das fror er fest in der Winterluft
und glänzt heut morgen wie lauter Duft.
Ich gehe still durch des Christkinds Garten,
im Herzen regt sich ein süß Erwarten:
Ist schon die Erde so reich bedacht,
was hat es mir da erst mitgebracht!
Anna Ritter (1865-1921)
Das Christkind ist durch den Wald gegangen,
sein Schleier blieb an den Zweigen hangen,
das fror er fest in der Winterluft
und glänzt heut morgen wie lauter Duft.
Ich gehe still durch des Christkinds Garten,
im Herzen regt sich ein süß Erwarten:
Ist schon die Erde so reich bedacht,
was hat es mir da erst mitgebracht!
Anna Ritter (1865-1921)
Mittwoch, 19. Dezember 2018
"Siehst Du, ich habe den Eindruck,...
"Siehst Du, ich habe den Eindruck, wenn ich zu Dir komme, eine Welt zu verlassen, die Tür hinter mir zuschlagen zu hören, Türen und nochmals Türen, denn sie sind zahlreich, die Türen dieser Welt, die aus Mißverständnissen, falschen Klarheiten, Höhnungen gemacht sind. Vielleicht bleiben mir noch andere Türen, vielleicht habe ich noch nicht den ganzen Raum durchschritten, über den sich dieses Netz von in die Irre führenden Zeichen erstreckt - doch ich komme, hörst Du, ich komme näher, der Rhythmus - ich spüre es - wird schneller, die trügerischen Lichter erlöschen eins nach dem andern, die Lügenmäuler schließen sich über ihrem Geifer - keine Worte mehr, keine Geräusche mehr, nichts mehr, was meinen Schritt begleitet - Ich werde da sein, bei Dir, in einem Augenblick, in einer Sekunde, die die Zeit eröffnen wird ..."
(Paul Celan)
VERSPRECHEN
VERSPRECHEN
Wir werden die Sprache vergessen
und uns auf eigene Weise verstehn,
weder Tag noch Stunde werden uns fangen,
im Nebel verstecken wir uns vor der Zeit.
(Gioconda Belli - Zauber gegen die Kälte)
„Ein Problem ist halb gelöst...
„Ein Problem ist halb gelöst, wenn es klar formuliert ist.“
John Dewey (1859-1952)
Kalendergedicht, Mittwoch 19.Dezember 2018
HEILIGE WINTERNACHT
Die überschneiten Felder funkeln wie polierter Stahl,
bis an die nachtschwarz vorgeschobene Wälderküste.
Alleen schneiden, schroff wie zackige Gerüste,
der Schimmerflächen wechselndes Opal.
Wie eine ungeheure Kuppel steigt der Mond herauf.
Weißgelbe Wolken flattern: aufgebläht wie Fahnen,
die sich in Prozessionen um Monstranz, Soutanen
und Opferschreine scharen. Und wie Knauf an Knauf
auf Schäften hingespitzt, erblitzen die Gestirne.
Nacht schauert, überblitzt vom orgelnden Orkan,
stumm-fromm zusammen. Aller Unrast abgetan
ragen des Dorfes Dächer auf: steilsteif wie Firne
und spiegeln, wie um letzte Schwärze abzuschwächen,
die weißen Giebel in den zugefrornen Bächen.
Paul Zech (1881-1946)
Die überschneiten Felder funkeln wie polierter Stahl,
bis an die nachtschwarz vorgeschobene Wälderküste.
Alleen schneiden, schroff wie zackige Gerüste,
der Schimmerflächen wechselndes Opal.
Wie eine ungeheure Kuppel steigt der Mond herauf.
Weißgelbe Wolken flattern: aufgebläht wie Fahnen,
die sich in Prozessionen um Monstranz, Soutanen
und Opferschreine scharen. Und wie Knauf an Knauf
auf Schäften hingespitzt, erblitzen die Gestirne.
Nacht schauert, überblitzt vom orgelnden Orkan,
stumm-fromm zusammen. Aller Unrast abgetan
ragen des Dorfes Dächer auf: steilsteif wie Firne
und spiegeln, wie um letzte Schwärze abzuschwächen,
die weißen Giebel in den zugefrornen Bächen.
Paul Zech (1881-1946)
Dienstag, 18. Dezember 2018
Dienstag abends kamen wir mit der Post...
Dienstag abends kamen wir mit der Post (aus Hamburg: Mozart ‚Zauberflöte‘, Kunsthalle) wieder in Worpswede an. Schöne, stille Sternennacht, festlich und gut zur Heimkehr. Da entschloß ich mich, in Worpswede zu bleiben. Jetzt schon fühle ich wie mit jedem Tage die Einsamkeit wächst, wie dieses Land, verlassen von Farben und Schatten, immer größer wird, immer breiter und immer mehr Hintergrund für bewegte Bäume im Sturm. Ich will in diesem Sturm bleiben und alle Schauer fühlen dieses großen Ergriffenseins. Ich will Herbst haben. Ich will mich mit Winter bedecken und will mit keiner Farbe mich verraten. Ich will einschneien um eines kommenden Frühlings willen, damit, was in mir keimt, nicht zu früh aus den Furchen steige.
(Rainer Maria Rilke, Tagebücher, 27.09.1900)
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