Dienstag, 17. Juli 2018

Kalendergedicht, Dienstag 17.Juli 2018





LIED VOM WINDE


Sausewind, Brausewind!
Dort und hier!
Deine Heimat sage mir!

"Kindlein, wir fahren
Seit vielen vielen Jahren
Durch die weit weite Welt,
Und moechtens erfragen,
Die Antwort erjagen,
Bei den Bergen, den Meeren,
Bei des Himmels klingenden Heeren,
Die wissen es nie.
Bist du klueger als sie,
Magst du es sagen.
— Fort, wohlauf!
Halt uns nicht auf!
Kommen andre nach, unsre Brueder,
Da frag wieder."

Halt an! Gemach,
Eine kleine Frist!
Sagt, wo der Liebe Heimat ist,
Ihr Anfang, ihr Ende?

"Wer's nennen koennte!
Schelmisches Kind,
Lieb ist wie Wind,
Rasch und lebendig,
Ruhet nie,
Ewig ist sie,
Aber nicht immer bestaendig.
—Fort! Wohlauf! auf!
Halt uns nicht auf!
Fort ueber Stoppel und Waelder und Wiesen!
Wenn ich dein Schaetzchen seh,
Will ich es gruessen.
Kindlein ade!"



Eduard Moerike (1804-1875)