Dienstag, 3. April 2018

Kalendergedicht, Dienstag 3.April 2018




DER ALTE BIRNBAUM


Einen tiefen Trunk aus voller Schale
Vom Smaragd des Frühlings will ich trinken:
Aus der blauen sonnenseligen Höhlung
Morgendlichen Feuers mich berauschen.
O wie tirilierst du tausendstimmig
Im Gemäße, du betörte Woge!
Schweige nicht, als Wein in mich gedrungen,
Schwimmen laß in solcher Flut mein Herze!

Bist du da, mein tausenjähriger Birnbaum,
Weiß und schwer, beglückt von Blütenlasten?
Wieviel Winter hast du überdauert,
Kahl und hart! Nun quillst du süßen Frühling.
Und von einem kaum gebornen Bäumchen,
Das du sätest, pflück ich eine Blüte,
Deren übermaß dein Haupt hervordrängt:
Und sie ist nicht jünger, süßer, holder,
Als von deinem greisen Haupt gebrochen.

Laß mich trinkend in den Becher sinken,
Untertauchen tief und immer tiefer
Wie der Täufling in geweihter Kufe!
Himmel, schlaget über mir zusammen,
Der ich blühe wie der alte Birnbaum.


Gerhart Hauptmann (1862-1946)