Mittwoch, 31. Januar 2018

GUTE NEUIGKEITEN




GUTE NEUIGKEITEN


Streichle ihr Haar sanft,
wie es nicht mehr Mode ist.
Nimm eine Handvoll davon
in deine Faust, nicht wütend,
tu ihr nicht weh, aber spüren
soll sie das Begehren eines Mannes,
der sich entschieden hat.

Vorbei die Zeit der kleinen Ewigkeiten.
Vorbei die vielgeliebte Abwechslung,
mehr geliebt als die Liebe.

Oh, es war schön, das will ich nicht leugnen.
Aber ich tat es auf der Suche nach etwas
Schönerem, das mehr ist, viel mehr
als nur Schönheit.

Mit welchem Recht?
Mit keinem als dem meines Herzens,
das weiß, du wartest.


(Wolf Wondratschek)






"Unsere Verabredung mit dem Leben...





"Unsere Verabredung mit dem Leben findet im gegenwärtigen Augenblick statt.
Und der Treffpunkt ist genau da, wo wir uns gerade befinden."

— Siddhartha Gautama -







Foto: Tim Maas









Die Dinge...




"Die Dinge, die mich anders machen, 
sind die Dinge, die mich ausmachen."

- Alan Alexander Milne -






WAS MICH AM STÄRKSTEN VERWANDELT HABE?




WAS MICH AM STÄRKSTEN VERWANDELT HABE?

Was mich am stärksten
verwandelt habe?
Immer wieder die Liebe
die mich erhöht
und erniedrigt hat
und Schnee zurück liess
mit einer Fährte
weiss Gott wohin

(Erika Burkart)







Foto: Tim Maas








BIRKE IM MONDSCHNEE




BIRKE IM MONDSCHNEE

Vor dem Milchglashimmel
die Bilke im Mondschnee
hält schwebend sich aufrecht,
als bedürfe es keiner Wurzeln,
um in die Tiefe zu kommen,
wo Schweres leicht wird
aus eigener Kraft.

- Erika Burkart -






Kalendergedicht, Mittwoch 31. Januar 2018





ICH WILL HERAUS AUS DIESER STADT


Ich weiß, daß Berge auf mich warten,
Draußen – weit –
Und Wald und Winterfeld und Wiesengarten
Voll Gotteinsamkeit –

Weiß, daß für mich ein Wind durch Wälder dringt,
So lange schon –
Daß Schnee fällt, daß der Mond nachtleise singt
Den Ewig-Ton –

Fühle, daß nachts Wolken schwellen,
Bäume,
Daß Ebenen, Gebirge wellen
In meine Träume –

Die Winterberge, meine Berge tönen –
Wälder sind verschneit –
Ich will hinaus, mit Euch mich zu versöhnen,
Ich will heraus aus dieser Zeit,

Hinweg von Märkten, Zimmern, Treppenstufen,
Straßenbraus –
Die Waldberge, die Waldberge rufen,
Locken mich hinaus!

Bald hab ich diese Straßenwochen,
Bald diesen Stadtbann aufgebrochen
Und ziehe hin, wo Ströme durch die Ewig-Erde pochen,
Ziehe selig in die Welt!


Gerrit Engelke (1890-1918)






Dienstag, 30. Januar 2018

Den Tag ausziehen...




Den Tag ausziehen
und neben das Bett stellen
wie ein Paar zu lang getragener Schuhe
die morgen nicht mehr passen

- Sascha Garzetti -






kurz schien mir die sonne...




kurz schien mir die sonne
in die gedanken

für einen augenblick
dachte ich an dich

dabei ist gerade januar
und in mir tiefster november


© 2018 — Freitag ist Rosa







Foto: Tim Maas









Einander Begegnen




Einander Begegnen

sanft
auf der brücke
unserer blicke
aber
die tiere
in unseren augen
zielen ihren sprung
aufs herz

- Thomas Luthardt -






DIE LIEBE




DIE LIEBE


Die Liebe
sitzt in der Sonne
auf einer Mauer und räkelt sich
für jeden zu sehen
Niemand hat sie gerufen
niemand könnte sie wegschicken
auch wenn sie störte

Woher kam sie als sie kam?
Man sieht selbst die Katze kommen
oder ein Gedicht auf dem Papier
Und der dunkelfüssige Traum
stellt sich nicht aus

Die Mauer ist leer
wo die Liebe saß
Wohin ging sie als sie ging?
Selbst der Tod, selbst die Träne
lässt eine Spur


(Hilde Domin)






Max Richter - Embers












twitter #JedeWocheEinFoto KW 5/18 "ZWEISAMKEIT"




 
Wenn du liebst,
rechne damit, daß es
wehtut wie Liebe.

(Wolf Wondratschek)







Foto: Tim Maas









Kalendergedicht, Dienstag 30. Januar 2018





DAS GESPENST


Gewöhnlich kommt es, wenn die Lichter brennen.
Es poltert mit den Tellern und den Tassen.
Auf roten Schuhen schlurrt es in den nassen
Geschwenkten Nächten und man hört sein Flennen.


Von Zeit zu Zeit scheint es umherzurennen
Mit Trumpf, Atout und ausgespielten Assen.
Auf Seil und Räder scheint es aufzupassen
Und ist an seinem Lärmen zu erkennen.


Es ist beschäftigt in der Gängelschwemme
Und hochweis weht dann seine erzene Haube,
Auf seinen Fingern zittern Hahnenkämme,


Mit schrillen Glocken kugelt es im Staube.
Dann reißen plötzlich alle wehen Dämme
Und aus der Kuckucksuhr tritt eine Taube.


Hugo Ball (1886-1927)






Montag, 29. Januar 2018

Ich schmiege meine Arme ...




Ich schmiege meine Arme
um den Hals deiner Güte

und atme einen Nachtwunsch
an die Sterne

alles
was in deinen Händen blüht
ist dem Licht verschrieben.

- Alexandra Sadora -






«Daß der Wald...




«Daß der Wald so fest, so groß, so weitverbreitet, so mächtig, so stark und so voll Pracht ist, freut mich; ich wünsche den Menschen das gleiche.»

- Robert Walser-







Foto: Tim Maas









blind date




blind date

es muss ja nicht
gleich sein
nicht hier sein
zwischen tür und
engel abflug
und ankunft
in zugigen höfen
es könnte
im sommer sein
wenn man
den schatten liebt
es wird keine
liebe sein
jedenfalls keine
fürs leben

- Doris Runge -






Lisa Elsässer - auswandern




ewiger schnee bis tief
in die sommer hinein
und unter der haut
alle reste der kindheit


(Lisa Elsässer - auswandern)







Foto: Tim Maas









Kalendergedicht, Montag 29. Januar 2018




ERSTARRT

Auch ich bin so gegangen.
Mit Einem, den ich liebte,
Durch einen Tannenwald.
Die Kerzen waren schneeumhangen.

Die gläserbleichen Zungen
Der Sträucher wiegen hart,
Und unsre Stapfen liefen
Der Kette gleich, verwirrt, verschlungen.

Weich duckte sichs zum Stamm,
Wie weißes Huhn sich plustert.
Mein Auge wurde groß
Vor einem grauen Licht, das niederschwamm.


Gertrud Kolmar (1894-1943)






Sonntag, 28. Januar 2018

"Dass man sich verliert...




"Dass man sich verliert, ist noch nicht schlimm,
sondern dass man sich hinterher nicht wieder zurechtfinden kann."

(Aus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Marcel Proust)






DU BIST ZART



 
        DU BIST ZART

      
       Du bist zart
       Wie die Fingerabdrücke
       Der Vögel im Schnee.
      
       Du bist traurig
       Wie die Pinie am Berg
       Mit dem zerzausten Haar.
      
       Du bist süss
       Wie die Datteln
       Biblischer Palmbäume.
      
       Und ich betrüge dich,
       Gerade weil du so sanft bist
       Und so vollendet traurig.

      
       (Claire Goll)






die bäume sind wortlos...



 
die bäume
sind wortlos
nur
längst welke
blätter
rascheln
einen namen
den der wind
als schleier
trägt
.

(thepoemist)








Foto: Tim Maas










1 Gedicht mit Fußnote




1 Gedicht mit Fußnote

Keine Morgenröte,
keine Gebete,
spät ins Bett gehen,
spät aufstehen,
zu Mittag frühstücken.
Alte Vorsätze.
Kein Ehemann,
keine Kinder,
kein Auto,
kein Haus.
Der Geliebte schläft
in einem anderen Haus.
Das Gedicht ist noch nicht aus.


Mit der Fußnote geht es weiter.


- Margret Kreidl -






Auch eine schwere Tür...




Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig.

- Charles Dickens -







Foto: Tim Maas









Kalendergedicht, Sonntag 28. Januar 2018





SPRICH


Sprich
lieber Freund
ich weiß
du kannst zaubern

Mach aus der Welt
ein Wort

Dein Wort
ist eine Welt


Rose Ausländer (1901-1988)






Samstag, 27. Januar 2018

Die Nächte...




    Die Nächte

    in denen Du

    mich liebtest

    lagen nie vollständig

    im Dunkeln
 
 
 
   (misanthropholia)






"Dieser Augenblick:





"Dieser Augenblick:
die Schönheit tritt, nachdem sie lange auf sich warten ließ,
auf einmal aus den gewöhnlichen Dingen hervor,
geht mitten durch unser strahlenhelles Feld, bindet, was gebunden werden kann,
entfacht alles, was leuchten soll an unserer Garbe Finsternis."

(René Char)








Foto: Tim Maas










DAS ÖFFNEN DER AUGEN



 
DAS ÖFFNEN DER AUGEN


An jenem Tag sah ich das Licht vorübergehen
unter den dunklen Wolken übers Wasser,
da hörte ich die Stimme dieser Welt, wie sie sich aussprach.
Da wusste ich, wie schon zuvor:
Leben ist nicht ein flüchtiges Erinnern dessen, was gewesen ist;
nicht die verbliebenen Seiten eines großen Buches,
die noch darauf warten, gelesen zu werden.

Es ist das Öffnen lang verschlossener Augen.
Es ist der Blick auf ferne Dinge,
gesehen ob der Stille, die sie bergen.
Es ist das Herz, das sich nach Jahren
des heimlichen Gesprächs
laut in der klaren Luft verkündet.

Es ist Moses in der Wüste
der vor dem Dornbusch niederkniet.
Es ist der Mensch, der seine Schuhe fortwirft,
als wolle er zum Himmel schreiten
und dann voller Erstaunen feststellt,
dass er zuletzt geöffnet ist,
verliebt in diesen festen Grund.


- David Whyte -






Wer etwas will, findet Wege...





Wer etwas will, findet Wege.
Wer etwas nicht will, findet Gründe.


Dalai Lama (eigentlich Tenzin Gyatso, tibetischer Mönch)








Foto: Tim Maas








wenn sich der himmel...




wenn sich der himmel im schlaf
auf die andere seite wälzt, fällt
ihm manchmal das lange haar
über die stirn. dann scheint es zu
regnen und die menschen span-
nen die schirme auf.

- Gerhard Rühm -






Kalendergedicht, Samstag 27. Januar 2018




HELLER MORGEN

Als ich schläfrig heut erwachte,
- und es war die Kirchenzeit –
hörte ich’s am Glockenklange,
dass es über Nacht geschneit.

Denn in meinem hellen Zimmer
klang so hell der Glockenschlag,
dass ich schon im Traume wusste:
heute wird ein heller Tag.

Als ich durch die Scheiben staunte,
wie die Welt so froh beschneit,
wurde mir die ganze Seele
glänzend weiß und hell und weit.


Münchhausen, Börries von (1874-1945)






Freitag, 26. Januar 2018

London Grammar - Wicked Game












mir fransen deine Sätze aus...




mir fransen
deine Sätze aus

und jeder Versuch
sie in Form zu sprechen
misslingt

schick doch bitte
neue nach

- Sascha Garzetti -








Foto: Tim Maas









SONETT



SONETT

Durch mein Leben zittert ohne Klage,
ohne Seufzer ein tiefdunkles Weh.
Meiner Träume reiner Blütenschnee
Ist die Weihe meiner stillsten Tage.

Öfter aber kreuzt die große Frage
Meinen Pfad. Ich werde klein und geh
Kalt vorüber wie an einem See,
dessen Flut ich nicht zu messen wage.

Und dann sinkt ein Leid auf mich, so trübe
Wie das Grau glanzarmer Sommernächte,
die ein Stern durchflimmert dann und wann -:

Meine Hände tasten dann nach Liebe,
weil ich gerne Laute beten möchte,
die mein heißer Mund nicht finden kann...

(Franz Xaver Kappus)






Und das noch: ...




Und das noch: Glauben Sie nicht, daß jene große Liebe, welche Ihnen, dem Knaben, einst auferlegt worden ist, verloren war; können Sie sagen, ob damals nicht große und gute Wünsche in Ihnen gereift sind und Vorsätze, von denen Sie heute noch leben? Ich glaube, daß jene Liebe so stark und mächtig in Ihrer Erinnerung bleibt, weil sie Ihr erstes tiefes Alleinsein war und die erste innere Arbeit, die Sie an Ihrem Leben getan haben.

(Rainer Maria Rilke)






Mir geht es mit Büchern...





Mir geht es mit Büchern (und nebenbei gesagt auch mit Menschen) so, daß, 
wenn ich eine schöne Seite gefunden habe,
ich mich immer vor der nächsten fürchte, die alles wieder zerstören 
und das Liebenswerte in Unwürdiges verkehren kann.

(Rainer Maria Rilke)








Foto: Tim Maas








"Wer wagt,...




"Wer wagt, durch das Reich der Träume zu schreiten,
gelangt zur Wahrheit."

- E. T. A. Hoffmann -






Kalendergedicht, Freitag 26. Januar 2018




WAS KANN DIE FREUDE MACHEN


Was kann die Freude machen,
die Einsamkeit verhehlt?
Das gibt ein doppelt Lachen,
was Freunden wird erzählt;
der kann sein Leid vergessen,
der es von Herzen sagt;
der muß sich selbst auffressen,
der in geheim sich nagt.


Simon Dach (1605-1659)






Donnerstag, 25. Januar 2018

"Es gibt keine Seligkeit...




 
"Es gibt keine Seligkeit ohne Bücher."

-Arno Schmidt -








Foto: Tim Maas









twitter #Buchbeginn (der erste Satz)






Schwarze Wolken warfen Schatten auf die zerklüftete Steilküste.

(Philippe Besson - Einen Augenblick allein)








Foto: Tim Maas









Unter vertrauten Geräuschen...




Unter vertrauten Geräuschen
liegt verborgen
was nicht wahr sein darf

- Werner Lutz -






Foto: Tim Maas








Wir lebten etwas anderes, als wir waren,...




    Wir lebten etwas anderes, als wir waren,

    wir schrieben etwas anderes,

    als wir dachten,

    wir dachten etwas anderes,

    als wir erwarteten und was übrigbleibt,

    ist etwas anderes,

    als wir vorhatten.


    (Gottfried Benn)






"Ist es nicht schön...




"Ist es nicht schön, daß in unsrem Dasein so manches fremd und seltsam bleibt, 
wie hinter Efeumauern?"


- Robert Walser -







Foto: Tim Maas








Kalendergedicht, Donnerstag 25. Januar 2018




IM NEBEL (FLANDERN)


Gebannt auf einer Insel sanfte Flucht
Durch Meer, das grau die Küsten überstreift.
Die Lippen sind mit feuchtem Brand bereift.
Baumsegel quirlen in der weißen Bucht.

Am Himmel hängt ein totes rundes Dach
Und fällt auf Zäune, die wie Mauern sind,
Steht drohend da, mit hohlen Augen blind,
Und schwimmt davon auf Straßen weit und flach.

Von andern Ufern tränend rot Laternen . . .
Die Hände rudern hin in leisem Takt —
Und plötzlich starr ich groß und scharfgezackt.
Im Haar die nasse Haut grünspaniger Sterne . . .


Walter Ferl (1892-1915)






Mittwoch, 24. Januar 2018

Alleen - Eugen Gomringer




Aus besonderem Grund . . .



Alleen

Alleen
Alleen und Blumen

Blumen
Blumen und Frauen

Alleen
Alleen und Frauen

Alleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer


- Eugen Gomringer -






avenidas

avenidas y flores

flores
flores y mujeres

avenidas
avenidas y mujeres

avenidas y flores y mujeres y
un admirador


- Eugen Gomringer -







ANDENKEN



 
ANDENKEN

Ich denke dein,
Wenn durch den Hain
Der Nachtigallen
Akkorde schallen!
Wann denkst du mein?

Ich denke dein
Im Dämmerschein
Der Abendhelle
Am Schattenquelle!
Wo denkst du mein?

Ich denke dein
Mit süßer Pein
Mit bangem Sehnen
Und heißen Tränen!
Wie denkst du mein?

O denke mein,
Bis zum Verein
Auf besserm Sterne!
In jeder Ferne
Denk ich nur dein!


(Aus: Gedichte von Friedrich von Matthisson)
 
 
 



Foto: Tim Maas










Vom richtigen Gebrauch der Zeit




Vom richtigen Gebrauch der Zeit

Ich habe dich
heute morgen
nicht zum Bahnhof begleitet
ich hatte soviel zu tun
und brauchte sie dringend
die halbe Stunde.

Doch kaum warst du weg
saß ich da
und war
eine ganze Stunde lang traurig.

- Franz Hohler -






Matthew Ryan - Stupid World












twitter #MissionFoto2018 "LOMOGRAFIE (1)"





Wenn du traurig bist, lächle!

Fred Ammon (*1930)







Foto: Tim Maas








«Mich soll und muß...





«Mich soll und muß doch nur der Augenblick innig beschäftigen.»

- Robert Walser -






Kalendergedicht, Mittwoch 24. Januar 2018





Nachklänge Beethovenscher Musik


3.

Selig, wer ohne Sinne
Schwebt, wie ein Geist auf dem Wasser,
Nicht wie ein Schiff – die Flaggen
Wechslend der Zeit, und Segel
Blähend, wie heute der Wind weht,
Nein ohne Sinne, dem Gott gleich,
Selbst sich nur wissend und dichtend
Schafft er die Welt, die er selbst ist,
Und es sündigt der Mensch drauf,
Und es war nicht sein Wille!
Aber geteilet ist alles.
Keinem ward alles, denn jedes
Hat einen Herrn, nur der Herr nicht;
Einsam ist er und dient nicht,
So auch der Sänger.



Clemens Brentano (1778-1842)







Dienstag, 23. Januar 2018

Vielleicht, dass ich dir einen Brief schriebe...




Vielleicht, dass ich dir
einen Brief schriebe.

Du könntest ihn
zur Seite legen

ohne ein Wort
darin zu lesen.

Bloß nachsehen
wo ich ihn aufgegeben habe

und mir sagen,
wo ich zu Hause bin.


- Sascha Garzetti -






Die Unendlichkeit und das Ewige...




Die Unendlichkeit und das Ewige
sind das einzig Gewisse.

(Sören Kierkegaard)







Foto: Tim Maas









Das Loslassen von unerfüllten Träumen...




Das Loslassen von unerfüllten Träumen
und das Freigeben von Menschen, an denen dein Herz hängt, ist wohl das schwerste, was es im Leben gibt. Aber so, wie du nicht nur einatmen kannst und die Luft in dir behalten kannst, sondern sie wieder ausatmen, gleichsam freigeben musst, um leben zu können, so kannst du dich neuen Begegnungen nur öffnen, wenn du die Hoffnungen aufgeben kannst, die sich verbraucht haben. Denn alles hat seine Zeit:

einatmen und ausatmen,
halten und hergeben,
binden und lösen,
Abschied nehmen und neu beginnen


- Christa Spilling-Nölker -






twitter #JedeWocheEinFoto KW 4/18 "MEINE STRASSE"





Mögest du warme Worte an einem kalten Abend haben
und eine sanfte Straße auf dem Weg nach Hause.

(Altirischer Segenswunsch)







Foto: Tim Maas









Kalendergedicht, Dienstag 23. Januar 2018




TASSO AN DIE PRINZESSIN


Zweites Sonett

Wie hab’ ich mich zu tiefst in dich verloren!
Nun ist nicht Weg nicht Brücke mir gebaut.
Und war doch Meer und Himmel in mir laut
und Sterne lärmten blau in meinen Ohren.

Die Stadt aus Heiligkeit hab’ ich erschaut
und war ein Blitz gezückt nach ihren Toren,
die Engel haben sich in mich geboren
und Christi Blut hat meine Stirn’ betaut.

Nun bist du alle Welt um mich gebreitet,
aus allen Frauen hab’ ich dich erweint,
ich hab’ dich mir als meinen Tod bereitet,

denn alles Ird’sche hast du mir verneint,
und einen Schatten, der zu Schatten gleitet,
beschwert dein Kranz, als wäre er versteint.


Hans Kaltneker ( 1895-1919)






Montag, 22. Januar 2018

An Hans Siemsen




An Hans Siemsen

Uns trennt wohl vieles,
Doch nicht viel,
Gewiß nicht das Ziel,
Ich meine die Vorstellung unseres Zieles.


Du bist zart und weich
Und ein Mann von hohem Geschmack.
Dieses Gedicht ist ein freundlicher Schnack.
Aber wir treffen uns wieder
Im Himmelreich.

- Joachim Ringelnatz -







DU GINGST FORT...


Und ich liebe des Zimmers Wände,
Die ich bemale mit deinem Knabenanlitz...

- Else Lasker-Schüler -




 DU GINGST FORT...
 
Du gingst fort. Du wirst fortgehen immer,
Wenn der Tag graue Tauben ans Herz nimmt
und die Dämmerung ihr Tuch über uns wirft.

Du gingst fort. Und ich liebe des Zimmers Wände,
Die ich bemale mit deinem Knabenanlitz...

- Karl Krolow -








Foto: Tim Maas









Es ist gesagt, was zu sagen war.




Es ist gesagt, was zu sagen war. Das Andere, das jetzt ist, entzieht sich den Worten.
Tief innen ist jetzt eine Melodie, die sich dem Nachsingen versagt.


- Ilse Helbich -






wenn es dir einfällt...





wenn es dir einfällt,
mich zu rufen,
könnte ich schon an einem ort sein,
der seine eigene zeit hat
und keine sehnsucht...


aber es macht nichts. rufe nur.
hier ist meine antwort: ich war
bei dir.


- Stefan Reichert -
 
 
 
 
 

Foto: Tim Maas








Deie Geduld




Die Geduld ist die Kunst, 
nur langsam wütend zu werden.

- Aus Japan -






Kalendergedicht, Montag 22. Januar 2018




SCHNEELIED

Um den Berg um den Berg
fliegen sieben Raben
das werden meine Brüder sein
die sich verwandelt haben

Sie waren so aufs Essen versessen
sie haben ihre Schwester vergessen
sie flogen weg die Goldkuh schlachten
ach wie sie lachten

Eh sie zur Sonne gekommen sind
waren sie blind

Mein Haus ich blas die Lichter aus
bevor ich schlafen geh
kann ich die schwarzen Federn sehn
im weißen gefrorenen Schnee


Sarah Kirsch (1935-2013)






Sonntag, 21. Januar 2018

DAS LETZTE GEDICHT





DAS LETZTE GEDICHT

Vor lauter Von-dir-Träumen,
lauter Gehn, lauter Sprechen
mit deinem Schatten,
lauter Ihn-Lieben,
bleibt mir nun nichts mehr von dir,
bleibt mir nur dies:
der Schatten Schatten zu sein,
der Schatten-Schemen,
der ein und aus geht
bei deinem sonnigen Leben.


(Robert Desnos)















Ich bin jetzt vor der Welt so weit...




Ich bin jetzt vor der Welt so weit...

Mir ist, als ob mir irgendwer
Jetzt leise meinen Namen nähme,
So zärtlich, daß ich mich nicht schäme
Und weiß, ich brauche keinen mehr.

(Rainer Maria Rilke)







Foto: Tim Maas








FRAU AM FENSTER





FRAU AM FENSTER

Den Blick auf das
Gleisbett
wie auf eine
Handarbeit geheftet
so konzentriert
so innig
so versonnen
wie  Stickerinnen
vor
hunderten von Jahren
auf ihre Stiche sahen
den roten Faden
ihres Lebens
mustert sie
den Grund

- Brigitte Struzyk -







twitter #BuchSatzPhoto #2018Satz2 "Und es war ein Leben wie in einem Käfig"





Freiheit ist kein Privileg,
sondern eine Aufgabe.

- Georges Bernanos -







Foto: Tim Maas








mein himmel ist hier und jetzt...





mein himmel ist hier und jetzt
mein himmel ist meine vorstellung
von himmel
er ist die freundlichkeit
verlässlichkeit
anteilnahme
bei glücks- und unglücksfällen
mein himmel ist nicht voller geigen
sondern voll solidarität
mein himmel ist auch eine utopie
von einer gerechteren welt
in der einsicht und nachsicht
tägliche realität sein sollte
himmel ist das festgeknüpfte netz
ähnlich denkender und fühlender
und das glück
ihm anzugehören
wenn es noch einen andern himmel
geben sollte
lasse mich überraschen


(Elfriede Gerstl)







Kalendergedicht, Sonntag 21. Januar 2018





AUF WANDERUNG

Sei nicht traurig, bald ist es Nacht,
Da sehn wir über dem bleichen Land
Den kühlen Mond, wie er heimlich lacht,
Und ruhen Hand in Hand.

Sei nicht traurig, bald kommt die Zeit,
Da haben wir Ruh. Unsere Kreuzlein stehen
Am hellen Straßenrande zu zweit,
Und es regnet und schneit,
Und die Winde kommen und gehen.


Hermann Hesse (1877-1962)







Samstag, 20. Januar 2018

Rainer Maria Rilke - 3. Die Dritte Elegie (Liest Gert Westphal)












Wie er sich hingab -. Liebte.



 
Wie er sich hingab -. Liebte.

Liebte sein Inneres, seines Inneren Wildnis,
diesen Urwald in ihm, auf dessen stummem Gestürztsein
lichtgrün sein Herz stand.

(Rainer Maria Rilke aus der dritten Elegie)







Foto: Tim Maas








BILDNIS EINES ALTEN DICHTERS




BILDNIS EINES ALTEN DICHTERS

An deiner Seite zur Seit, Allerliebste, leis
Sollst du mich, wenn ich schnarche, drehn
Nervt dich mein saurer Altmännerschweiß
Schenk mir die Lüge: Du riechst so schön

Hat mich die Furcht, verkläre es als Lebensklugheit
Und werd ich grob, dann sag du: Typisch Mann
Und meinen Geiz-lob du ihn mir als Sparsamkeit
Und wenn mein Will will und nicht mehr kann

Dann lasse du es gelten als Vermenschlichung
Und Ungeduld (die meine!) sei dir Leidenschaft
Und wenn ich schwanke, nenne du mich jung
Und nimm mein Zittern als Zeichen von Kraft

Doch wenn mein Lied dein Herze nicht mehr bricht
Lach mich kalt an. Und verlasse mich.



- WOLF BIERMANN -






Findest du auch, dass jede Reise...





Findest du auch, dass jede Reise
um dich den Radius vergrößert, dessen Mitte Heimat ist.
Für einen Moment, obwohl wir uns bald in
entgegengesetzte Richtungen bewegen werden, fühlt es sich an
als sei ich zur Ruhe gekommen.

- Gabeba Baderoon -







Foto: Tim Maas








Kalendergedicht, Samstag 20. Januar 2018





KOPF UND HERZ

Wie es scheint, ist die Moral
Nicht so bald beleidigt,
Während Schlauheit allemal
Wütend sich verteidigt.

Nenn den Schlingel liederlich,
Leicht wird er’s verdauen;
Nenn ihn dumm, so wird er dich,
Wenn er kann, verhauen.


Wilhelm Busch (1832-1908)






Freitag, 19. Januar 2018

Wie eine Nonne schwarz, mit weißen Litzen...





Wie eine Nonne schwarz, mit weißen Litzen
ums Eulenantlitz, bist du, Wintertag,
mit deinem Schnee auf Kanten, Dächern, Spitzen.

Und deine Augen, lebenstot und vag,
betrachten mich mit kaltem, stumpfen Blitzen
und fragen mich: was soll dein Hoffen, sag’! …

(Christian Morgenstern)







Die grüne Maske verschiebt sich...



 
Die grüne Maske
verschiebt sich
das Dunkelgesicht
wird sichtbar

Mit den Farben wandern
ins vorletzte Reich
weinen mit dem
Trauerhimmel

Rostblätter fallen
aufgehoben vom Wind
der alles ins Nebeltuch
wickelt

Sich rüsten
zur letzten Reise
ins Jedermannsland

 
- Rose Ausländer -







Foto: Tim Maas








Du gehst an mir vorbei




Du gehst an mir vorbei
während wir ganz still sitzen

Ich rede an mir vorbei
während du nicht hörst

Wir tun nichts
und ein engel liest uns auf


- Inger Christensen -






So nehme ich vom Salz...




So nehme ich vom Salz,
wenn uns das Meer übersteigt,
und kehre zurück
und legs auf die Schwelle
und trete ins Haus.

Wir teilen ein Brot mit dem Regen,
ein Brot, eine Schuld und ein Haus.

- Ingeborg Bachmann -







Foto: Tim Maas










Im Leben...




Im Leben ist jeder mutig, 
der nicht aufgibt.

- Unbekannt -






Kalendergedicht, Freitag 19. Januar 2018




NACH ALTDEUTSCHER WEISE


Es ist bestimmt in Gottes Rat,
Daß man, was man am liebsten hat,
Muß meiden;
Wiewohl nichts in dem Lauf der Welt
Dem Herzen ach! so sauer fällt,
Als Scheiden, ja Scheiden!

So dir geschenkt ein Knösplein was,
So tu' es in ein Wasserglas;
Doch wisse: Blüht morgen dir ein Röslein auf,
Es welkt wohl noch die Nacht darauf;
Das wisse, ja wisse!

Und hat dir Gott ein Lieb beschert,
Und hältst du sie recht innig wert,
Die Deine, -
Es werden wohl acht Bretter sein,
Da legst du sie wie bald! hinein;
Dann weine, ja weine!

Nur mußt du mich auch recht verstehn,
Ja recht verstehn!
Wenn Menschen auseinander gehn,
So sagen sie: auf Wiedersehn!
Ja Wiedersehn!


Ernst von Feuchtersleben (1806-1849)