Sonntag, 31. Dezember 2017
Ein Mensch jedoch...
Ein Mensch jedoch, der nicht völlig entfremdet ist, der noch immer empfindsam geblieben ist und noch fühlen kann, der noch nicht den Sinn für Würde verloren hat, der nicht käuflich ist, der am Leiden anderer selbst noch zu leiden vermag, der noch nicht vollständig in der Existenzweise des Habens lebt, kurzum jemand, der noch Person geblieben ist, kein Ding, ein solcher Mensch kann nicht anders, als sich in der heutigen Gesellschaft einsam, ohnmächtig und isoliert zu erleben.
(Erich Fromm)
"Schwarzes nächtiges Thal,...
"Schwarzes nächtiges Thal, lichterbesät,
Der Nachtigall lockendes Schlagen,
Ein Suchen, ein Finden,
Ein Schmiegen, ein Pressen,
Weich legt sich Dein zitternder Arm
Um meinen gebeugten Nacken."
- Heinrich Vogeler -
Kalendergedicht, Sonntag 31. Dezember 2017
WINTERNACHT
Vor Kälte ist die Luft erstarrt,
Es kracht der Schnee von meinen Tritten,
Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart;
Nur fort, nur immer fortgeschritten!
Wie feierlich die Gegend schweigt!
Der Mond bescheint die alten Fichten,
Die, sehnsuchtsvoll zum Tod geneigt,
Den Zweig zurück zur Erde richten.
Frost! friere mir ins Herz hinein,
Tief in das heißbewegte, wilde!
Dass einmal Ruh mag drinnen sein,
Wie hier im nächtlichen Gefilde!
Nikolaus Lenau (1802-1850)
Samstag, 30. Dezember 2017
Wir trinken aus dem Kelch des Daseins...
Wir trinken aus dem Kelch des Daseins
mit geschlossenen Augen
und haben die goldenen Ränder
mit unseren Tränen benetzt;
wenn aber vor dem Tod
die Binde von unseren Augen fällt
und alles, was uns verlockte,
mit der Binde verschwindet,
dann sehen wir, dass
der goldene Kelch leer,
dass der Trank darin ein Traum
und dass er nicht der unsrige war!
mit geschlossenen Augen
und haben die goldenen Ränder
mit unseren Tränen benetzt;
wenn aber vor dem Tod
die Binde von unseren Augen fällt
und alles, was uns verlockte,
mit der Binde verschwindet,
dann sehen wir, dass
der goldene Kelch leer,
dass der Trank darin ein Traum
und dass er nicht der unsrige war!
© Michail Lermontow
SEHNSUCHT
SEHNSUCHT
Durch meines Lebens graue Gasse
geht das Nimmervondirlassen
geht das Nimmervondirlassen
und singt und singt so leise
uralte Weise
und summt und verstummt und weint
wie Heimweh
und es gaffen die grauen Gassen
Wer bist du Nimmervondirlassen?
- ODÖN VON HÖRVÁTH -
Kalendergedicht, Samstag 30. Dezember 2017
Wenn sich die Sprüche widersprechen,
ist's eine Tugend, kein Verbrechen.
Du lernst doch nur von Blatt zu Blatt,
daß jedes Ding zwei Seiten hat.
Paul Heyse (1830-1914)
Freitag, 29. Dezember 2017
"Eines Tages alt sein...
"Eines Tages alt sein und noch lange nicht alles verstehen, nein, aber anfangen, aber lieben, aber ahnen, aber zusammenhängen mit Fernem und Unsagbarem bis in die Sterne hinein!"
(Rainer Maria Rilke)
"ein haltloser Tag ist das heute...
"ein haltloser Tag
ist das heute
doch habe ich Hände
habe auch Füße
Schultern
sogar ein Gesicht
stoße Wörter aus
Und lasse Wörter hinein
in die Brust
über einem leer gegessenen
Teller lache ich
jemandem zu."
(Shuntaro Tanikawa)
"Mein Herz war auch im Spiel,...
"Mein Herz war auch im Spiel,
viel zu groß war es schon lang,
nun quoll es übergroß.
Aber keine Spur von Beklemmung.
An Orte ward es getragen,
wo man die Wollust
nicht mehr sucht."
(Paul Klee)
Kalendergedicht, Freitag 29. Dezember 2017
LETZTES
In Herzens Mitte
als einzige Bitte
verhallende Schritte
von der Katze ein Stück:
ihr Ohr löffelt Schall
ihr Fuß nimmt Lauf
ihr Blick
brennt dünn und dick
vor ihrem Antlitz kein Zurück
schön wie die Blume
doch voller Waffen
und hat im Grunde nichts mit uns zu schaffen.
Paul Klee (1879-1940)
Donnerstag, 28. Dezember 2017
Kein Abdruck der Lippen auf Wange und Stirn...
Kein Abdruck der Lippen auf Wange und Stirn unter Flüstern -
Aber ein Blitz, der zwischen dir und mir Ähnlichkeit schafft,
Der meine Hand auf deiner Schulter ruhen lässt, behutsam.
- Karl Krolow -
"Wie gern würd ich in dieser schwarzen Stunde...
"Wie gern würd ich in dieser schwarzen Stunde
mit einer Straßenbahn zum Stadtrand fahren
und in dein Haus eintreten,
wenn dann in Hunderten von Jahren
Ausgräber unser Viertel offenlegen,
möchte ich gern, dass sie mich wiederfinden
als Teil von dir für immer, fest umarmt
verschüttet von der neuen Asche."
"Sonett" von Joseph Brodsky (1940 - 1996)
Kalendergedicht, Donnerstag 28. Dezember 2017
FÜR MICH
Es ist mir bekannt,
daß alles schon einmal beschrieben wurde:
die Liebe, der Haß, der Zorn und die Trauer.
Es ist mir bekannt.
Es ist mir bekannt,
daß jedes Wort unzählige Herren hat:
Tote und Lebende, Ehrliche und Lügner.
Es ist mir bekannt.
Aber ich weiß auch,
daß niemand mir abnimmt, mich zu erleben.
Also gestatte ich keinem,
für mich zu sprechen.
Rainer Malkowski (1939-2003)
Mittwoch, 27. Dezember 2017
Mit wahrhaft Gleichgesinnten ...
Mit wahrhaft Gleichgesinnten kann man sich auf die Dauer nicht entzweien.
Man findet sich immer wieder einmal zusammen.
- Johann Wolfgang von Goethe -
ES IST ALLES GANZ EINFACH
ES IST ALLES GANZ EINFACH
Es ist alles ganz einfach viel
einfacher und trotzdem
auch so gibt es Augenblicke
in denen es mir zuviel wird
in denen ich nicht verstehe
und nicht weiss, ob ich laut lachen
oder vor Angst weinen soll
oder ohne Weinen
ohne Lachen
still dasein
mein Leben annehmen
meine Durchreise
meine Zeit.
(Idea Vilarino)
Kalendergedicht, Mittwoch 27. Dezember 2017
GEBET
Ich suche allerlanden eine Stadt,
Die einen Engel vor der Pforte hat.
Ich trage seinen großen Flügel
Gebrochen schwer am Schulterblatt
Und in der Stirne seinem Stern als Siegel.
Und wandle immer in die Nacht…
Ich habe Liebe in die Welt gebracht –
Daß blau zu blühen jedes Herz vermag,
Und hab ein Leben müde mich gewacht,
In Gott gehüllt den dunklen Atemschlag.
O Gott, schließ um mich deinen Mantel fest;
Ich weiß, ich bin im Kugelglas der Rest,
Und wenn der letzte, Mensch die Welt vergießt,
Du mich nicht wieder aus der Allmacht läßt
Und sich ein neuer Erdball um mich schließt.
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Dienstag, 26. Dezember 2017
Ich ließ meinen Engel lange nicht los...
Ich ließ meinen Engel lange nicht los,
und er verarmte mir in den Armen
und wurde klein, und ich wurde groß:
und auf einmal war ich das Erbarmen,
und er eine zitternde Bitte bloß.
Da hab ich ihm seine Himmel gegeben, -
und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;
er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,
und wir haben langsam einander erkannt…
(Rainer Maria Rilke)
Kalendergedicht, Dienstag 26. Dezember 2017
DER STERN
Hätt einer auch fast mehr Verstand
als wie die drei Weisen aus Morgenland
und ließe sich dünken, er wär wohl nie
dem Sternlein nachgereist wie sie;
dennoch, wenn nun das Weihnachtsfest
seine Lichtlein wonniglich scheinen läßt,
fällt auch auf sein verständig Gesicht,
er mag es merken oder nicht,
ein freundlicher Strahl
Des Wundersternes von dazumal.
Wilhelm Busch (1832-1908)
Montag, 25. Dezember 2017
Liebe Clara,...
Liebe Clara,
Du weißt, was mir in meiner frühen Kindheit Weihnachten war; selbst noch dann, als die Militärschule mir ein wunderloses, hartes, unbegreiflich boshaftes Leben so glaubhaft vortäuschte, dass mir keine andere neben jener unverschuldeten Wirklichkeit möglich schien; selbst dann noch war Weihnachten wirklich und war das, was mit einer Erfüllung herankam, die über alle Wünsche hinausging, und wenn es über die äußersten letzten nie noch gewünschten hinaus war, dann begann es erst recht, dann faltete es, das bisher gegangen war, Flügel aus und flog, flog, bis es nicht mehr zu sehen war und man nur noch die Richtung wusste, in dem großen fließenden Licht.
Und alles das hatte noch immer, immer noch Macht über mich.
Da erst merkte ich, dass mir dieses Weihnachten noch da war und nicht wie eines, das einmal war und vergangen ist, sondern wie ein immerwährendes, ewiges Weihnachtsfest, zu dem das innere Gesicht sich hinwenden kann, sooft es seiner bedarf.
(Rainer Maria Rilke)
VOR WEIHNACHTEN 1914
VOR WEIHNACHTEN 1914
Da kommst du nun, du altes zahmes Fest,
und willst, an mein einstiges Herz gepresst,
getröstet sein. Ich soll dir sagen: du
bist immer noch die Seligkeit von einst.
(Rainer Maria Rilke)
Diesen Blogeintrag möchte ich der lieben Marlene widmen, die mir mit diesem tollen und selbstgemalten Bild von Rilke, eine riesige Weihnachtsfreude gemacht hat!
Nochmals ganz lieben Dank dafür! ღ*
“Es gibt Leute, die dir sagen werden...
“Es gibt Leute, die dir sagen werden, dass Weihnachten nicht mehr das ist, was es einmal war. … Aber suche dir doch für deine trostlosen Erinnerungen nicht gerade den fröhlichsten aller 365 Tage aus. Rücke lieber deinen Stuhl näher an das flackernde Feuer, fülle dein Glas, stimme ein Lied an und danke Gott, dass es nicht schlimmer ist. Denke nach über den Segen, der dir reichlich zuteil wurde - und er ist bei keinem gering - und nicht über vergangenes Missgeschick, wie es jedem widerfährt. Fülle dein Glas abermals, mit fröhlichem Gesicht und zufriedenem Herzen. Bei unserem Leben, dein Weihnachten soll ein fröhliches und dein neues Jahr ein glückliches sein.”
- Charles Dickens -
Kalendergedicht, Montag 25. Dezember 2017
CHRISTBAUM
Hörst auch du die leisen Stimmen
aus den bunten Kerzlein dringen?
Die vergessenen Gebete
aus den Tannenzweiglein singen?
Hörst auch du das schüchternfrohe,
helle Kinderlachen klingen?
Schaust auch du den stillen Engel
mit den reinen, weißen Schwingen?
Schaust auch du dich selber wieder
fern und fremd nur wie im Traume?
Grüßt auch dich mit Märchenaugen
deine Kindheit aus dem Baume?
Ada Christen (1839-1901)
Sonntag, 24. Dezember 2017
Es ist noch nicht Weihnachten...
Es ist noch nicht Weihnachten, aber ich schicke dir schon deine Geschenke. Ich wünschte, ich könnte sie dir persönlich geben.
Würdest du etwas für mich tun? Könntest du an Heiligabend genau um Mitternacht nach draußen gehen und dein Gesicht zum Mond wenden? Dann schmeckst du die Schneeflocken auf deinen Lippen und stellst dir vor, es wäre mein Mund, der dich berührt. Ich werde genau zur selben Zeit nach draußen gehen, versprochen. Ich werde die Augen schließen und mir das Gleiche vorstellen. Vielleicht könnte es wahr werden, nur für einen Augenblick, dass sich unsere Geister treffen.
- Jessica Brockmole: Eine Liebe über dem Meer -
Kalendergedicht, Sonntag 24. Dezember 2017
Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen!
Es kam aus dem Walde, das Mützchen voll Schnee,
mit rotgefrorenem Näschen.
Die kleinen Hände taten ihm weh,
denn es trug einen Sack, der war gar schwer,
schleppte und polterte hinter ihm her.
Was drin war, möchtet ihr wissen?
Ihre Naseweise, ihr Schelmenpack -
denkt ihr, er wäre offen der Sack?
Zugebunden bis oben hin!
Doch war gewiss etwas Schönes drin!
Es roch so nach Äpfeln und Nüssen!
Anna Ritter (1865-1921)
Samstag, 23. Dezember 2017
“… und ich werde an Weihnachten nach Hause kommen.
“… und ich werde an Weihnachten nach Hause kommen. Wir alle tun das oder sollten es tun. Wir alle kommen heim oder sollten heimkommen. Für eine kurze Rast, je länger desto besser, um Ruhe aufzunehmen und zu geben.”
-Charles Dickens -
Ich sehn´ mich so nach einem Land...
Ich sehn´ mich so nach einem Land
der Ruhe und Geborgenheit
Ich glaub´, ich hab´s einmal gekannt,
als ich den Sternenhimmel weit
und klar vor meinen Augen sah,
unendlich großes Weltenall.
Und etwas dann mit mir geschah:
Ich ahnte, spürte auf einmal,
dass alles: Sterne, Berg und Tal,
ob ferne Länder, fremdes Volk,
sei es der Mond, sei´s Sonnnenstrahl,
dass Regen, Schnee und jede Wolk,
dass all das in mir drin ich find,
verkleinert, einmalig und schön
Ich muss gar nicht zu jedem hin,
ich spür das Schwingen, spür die Tön´
ein´s jeden Dinges, nah und fern,
wenn ich mich öffne und werd´ still
in Ehrfurcht vor dem großen Herrn,
der all dies schuf und halten will.
Ich glaube, dass war der Moment,
den sicher jeder von euch kennt,
in dem der Mensch zur Lieb´ bereit:
Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!
(Hermann Hesse)
Kalendergedicht, Samstag 23. Dezember 2017
WEIHNACHTSODE
Die Nacht ist hin, nun wird es Licht,
Da Jacobs Stern die Wolcken bricht.
Ihr Völcker, hebt die Häupter auf
Und merckt der goldnen Zeiten Lauf!
Du süßer Zweig aus Jeße Stamm,
Mein Heil, mein Fürst, mein Schaz, mein Lamm,
Ach, schau doch hier mit Freuden her,
Wie mein Herz die Wiege wär!
Ach komm doch, liebster Seelenschaz!
Der Glaube macht dir reinen Plaz,
Die Liebe steckt das Feuer an,
Das auch den Stall erleuchten kan.
Ihr Töchter Salems, küst den Sohn!
Des Höchsten Liebe brennet schon.
Kommt, küst das Kind! Es stillt den Zorn.
Ach, nun erhebt der Herr mein Horn!
Johann Christian Günther (1695-1723)
Freitag, 22. Dezember 2017
Wenn Sehnsucht nur die Sucht ist sich zu sehnen...
Wenn Sehnsucht nur die Sucht ist sich zu sehnen
nach dem was man versäumt
was macht dann ein Traum den gerade keiner träumt
zurück oder allein gelassen mit nichts von sich übrig
zum anfassen oder loslassen
aber seltsam gewiss dass da mehr ist
mehr als man sehen kann
und mehr als man erzählen kann
Damit man daran nicht zerbricht
bleibt man ganz
betrachtet das Ganze etwas aus der Distanz
im Glauben man distanziert sich ja bloß
und plötzlich sind die Dinge ihre Seelen los...
(Wolfgang Müller)
Ich glaube,...
Ich glaube, dass wir einen Funken jenes ewigen Lichts in uns tragen,
das im Grunde des Seins leuchten muss
und welches unsere schwachen Sinne nur von Ferne ahnen können.
und welches unsere schwachen Sinne nur von Ferne ahnen können.
Diesen Funken in uns zur Flamme werden zu lassen
und das Göttliche in uns zu verwirklichen,
ist unsere höchste Pflicht.
(Johann Wolfgang von Goethe)
ist unsere höchste Pflicht.
(Johann Wolfgang von Goethe)
Kalendergedicht, Freitag 22. Dezember 2017
DEM UNENDLICHEN
Wie erhebt sich das Herz, wenn es dich,
Unendlicher, denkt! wie sinkt es,
Wenns auf sich herunterschaut!
Elend schauts wehklagend dann, und Nacht und Tod!
Allein du rufst mich aus meiner Nacht, der im Elend, der im Tod hilft!
Dann denk ich es ganz, daß du ewig mich schufst,
Herlicher! den kein Preis, unten am Grab', oben am Thron,
Herr Herr Gott! den dankend entflamt, kein Jubel genug besingt.
Weht, Bäume des Lebens, ins Harfengetön!
Rausche mit ihnen ins Harfengetön, krystallner Strom!
Ihr lispelt, und rauscht, und, Harfen, ihr tönt
Nie es ganz! Gott ist es, den ihr preist!
Donnert, Welten, in feyerlichem Gang, in der Posaunen Chor!
Du Orion, Wage, du auch!
Tönt all' ihr Sonnen auf der Straße voll Glanz,
In der Posaunen Chor!
Ihr Welten, donnert
Und du, der Posaunen Chor, hallest
Nie es ganz, Gott; nie es ganz, Gott,
Gott, Gott ist es, den ihr preist!
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803)
Wie erhebt sich das Herz, wenn es dich,
Unendlicher, denkt! wie sinkt es,
Wenns auf sich herunterschaut!
Elend schauts wehklagend dann, und Nacht und Tod!
Allein du rufst mich aus meiner Nacht, der im Elend, der im Tod hilft!
Dann denk ich es ganz, daß du ewig mich schufst,
Herlicher! den kein Preis, unten am Grab', oben am Thron,
Herr Herr Gott! den dankend entflamt, kein Jubel genug besingt.
Weht, Bäume des Lebens, ins Harfengetön!
Rausche mit ihnen ins Harfengetön, krystallner Strom!
Ihr lispelt, und rauscht, und, Harfen, ihr tönt
Nie es ganz! Gott ist es, den ihr preist!
Donnert, Welten, in feyerlichem Gang, in der Posaunen Chor!
Du Orion, Wage, du auch!
Tönt all' ihr Sonnen auf der Straße voll Glanz,
In der Posaunen Chor!
Ihr Welten, donnert
Und du, der Posaunen Chor, hallest
Nie es ganz, Gott; nie es ganz, Gott,
Gott, Gott ist es, den ihr preist!
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803)
Donnerstag, 21. Dezember 2017
"Es ist sehr gut denkbar...
"Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit.
Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft."
(Franz Kafka)
"das gedicht gibt es nicht.
"das gedicht gibt es nicht. es
gibt immer nur dies gedicht das
dich gerade liest. aber weil
du in diesem gedicht siehe oben
sagen kannst das gedicht gibt
es nicht und es gibt immer nur
dies gedicht das dich gerade
liest kann auch das gedicht das
du nicht liest dich lesen und
es dies gedicht hier nur immer
nicht geben. beide du und du
lesen das und dies. duze beide
denn sie lesen dich auch wenn
es dich nicht nur hier gibt"
"immer" von Oskar Pastior (1927 - 2006)
gibt immer nur dies gedicht das
dich gerade liest. aber weil
du in diesem gedicht siehe oben
sagen kannst das gedicht gibt
es nicht und es gibt immer nur
dies gedicht das dich gerade
liest kann auch das gedicht das
du nicht liest dich lesen und
es dies gedicht hier nur immer
nicht geben. beide du und du
lesen das und dies. duze beide
denn sie lesen dich auch wenn
es dich nicht nur hier gibt"
"immer" von Oskar Pastior (1927 - 2006)
Kalendergedicht, Donnerstag 21. Dezember 2017
WINTER
Die Vögel, schwarze Früchte
in den kahlen Ästen.
Die Bäume spielen Verstecken mit mir,
ich gehe wie unter Leuten
die ihre Gedanken verbergen
und bitte die dunklen Zweige
um ihre Namen.
Ich glaube, daß sie blühen werden
- innen ist grün -
daß du mich liebst
und es verschweigst.
(Hilde Domin)
Mittwoch, 20. Dezember 2017
auf dem rückzug
auf dem rückzug
schliesslich konnte man nicht einmal mehr
leitern an ihn legen.
auch keine kleinen feuer.
augenpaare und streichhölzer
überredeten ihn vergebens.
er war nicht brennbar.
dafür kam es vor,
dass er auf sein zimmer ging
und durchs fenster
verbeugungen austeilte.
unterm bett wartete
ein korb voller handküsse
auf den wink einiger verstorbener.
sie zeigten sich ihm manchmal
in einer wolke.
- karl krolow -
Kalendergedicht, Mittwoch 20. Dezember 2017
VORZUG DES WINTERS
Ich stehe / kaum gehe / verfroren vom Eise /
nur schleiche / nicht weiche nach Alterthumsweise /
ich lebe und gebe gesuendeste Speise /
am Ofen ohn Frost
da schmecket der Most
zu Federwildskost.
Lasst blasen / lasst rasen der Jaegerfrau Hoerner /
den wacker im Acker zerstochen die Doerner
sich nehret / verzehret jetzt koernichte Koerner /
man schlachtet das Schwein
und saltzet es ein /
daß lange muß seyn.
Der Lentzen zu Kraentzen die Sommerblueh pflocke /
zum Leben der Reben der Freudenherbst locke /
du drehe / du wehe mein Winter und flocke /
da ruhet das Feld /
da schlaeffet die Welt
im fedrigen Zelt.
Johann Klaj (1616-1656)
Ich stehe / kaum gehe / verfroren vom Eise /
nur schleiche / nicht weiche nach Alterthumsweise /
ich lebe und gebe gesuendeste Speise /
am Ofen ohn Frost
da schmecket der Most
zu Federwildskost.
Lasst blasen / lasst rasen der Jaegerfrau Hoerner /
den wacker im Acker zerstochen die Doerner
sich nehret / verzehret jetzt koernichte Koerner /
man schlachtet das Schwein
und saltzet es ein /
daß lange muß seyn.
Der Lentzen zu Kraentzen die Sommerblueh pflocke /
zum Leben der Reben der Freudenherbst locke /
du drehe / du wehe mein Winter und flocke /
da ruhet das Feld /
da schlaeffet die Welt
im fedrigen Zelt.
Johann Klaj (1616-1656)
Dienstag, 19. Dezember 2017
Ich lösch das Licht...
Ich lösch das Licht
Mit purpurner Hand,
Streif ab die Welt
Wie ein buntes Gewand
Und tauch ins Dunkel
Nackt und allein,
Das tiefe Reich
Wird mein, ich sein.
Groß' Wunder huschen
Durch Dickicht hin,
Quelladern springen
Im tiefsten Sinn,
O spräng noch manche,
Ich käm in' Kern,
Ins Herz der Welt
Allem nah, allem fern.
(Hugo von Hofmannsthal)
BLAUGRAU
BLAUGRAU
Es war Winter. Sie wartete auf nichts mehr (wie man im Winter nichts mehr erwarten kann, in einem bestimmten Winter, der jederzeit über das Leben hereinbrechen kann). Stellen Sie sich also vor, wie sie dort steht, in einem schwarzen Kleid, den Kragen ihres Mantels hochgeschlagen, den Kopf eingezogen, wegen des scharfen Windes. Ihre Augen sind blaugrau, aber stumpf, genau wie das Meer über dem der schneeverhangene Himmel steht, jeden Moment bereit sich zu entladen.
Was tut sie dort, wenn sie nicht wartet? Vielleicht erinnert sie sich an eine Zeit, zu der sie sich immerzu nach diesem Morgen sehnte. Und nun ist dieses Morgen da. Sie wartet nicht mehr.
- Elke Engelhardt -
Kalendergedicht, Dienstag 19. Dezember 2017
GOTT
Du bist nicht in der Krone,
doch du zirkst
den Raum der Krone um den Schaft:
Du bist nicht auszusprechen,
doch du wirkst,
dich auszusprechen, in uns eine Kraft.
Oskar Loerke (1884-1941)
Du bist nicht in der Krone,
doch du zirkst
den Raum der Krone um den Schaft:
Du bist nicht auszusprechen,
doch du wirkst,
dich auszusprechen, in uns eine Kraft.
Oskar Loerke (1884-1941)
Montag, 18. Dezember 2017
manche worte...
manche worte
hallen noch immer in mir nach
wer fand jemals hoffnung
im bodensatz der dunkelheit?
für die musik debussys
zünde ich sie an
reiche sie weiter
an die erinnerung einer liebe
reiche sie weiter an die zukunft
und an dich. an deine träume
ich zünde diese kerze an
als bekenntnis zur liebe
eine kerze gegen die verzweiflung
gegen die angst
eine kerze für das leben
eine kerze für die hoffnung
hallen noch immer in mir nach
wer fand jemals hoffnung
im bodensatz der dunkelheit?
für die musik debussys
zünde ich sie an
reiche sie weiter
an die erinnerung einer liebe
reiche sie weiter an die zukunft
und an dich. an deine träume
ich zünde diese kerze an
als bekenntnis zur liebe
eine kerze gegen die verzweiflung
gegen die angst
eine kerze für das leben
eine kerze für die hoffnung
© Rea Revekka Poulharidou
Kalendergedicht, Montag 18. Dezember 2017
MOTET
Der Mensch lebt und bestehet
Nur eine kleine Zeit;
Und alle Welt vergehet
Mit ihrer Herrlichkeit.
Es ist nur Einer ewig und an allen Enden,
Und wir in seinen Händen.
Und der ist allwissend.
Matthias Claudius (1740-1815)
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