MIT HALBER STIMME
Nimm des Menschen Dunkelstes: Dies ist ewig.
Nimm aus weher Brust das Verlorne, hauch die
Scham, die Sehnsucht, flüstre das Weinen in die
Stille des Abends,
die Gedanken vor dem Entschlafen; alle
hingehauchten Worte der Herbstnacht, alle
einsam armen Wege, die Trauer und das
Ende der Liebe.
Wie ein Sturm ist menschliches Leid und wie das
ferne Spiel von Harfen; das tiefste aber
ist ein Strom: nicht strömt er von hier, er flutet
inner der Erde.
Nimm das Leid und mach es zum Liede: Welches
Lied ist süßer, welches mit Würde leiser!
Gleich dem wunden Mund der Geliebten, nachher;
oder dem kargen
Lächeln eines Sterbenden. Immer werden
im den Grenzen groß die Gefühle. Denn im
Obergang ist Weihe und Muß und jene
Todkraft des Opfers -:
Bittrer Becher, sei uns gesegnet! Ach, wer
leidet denn genügend - und wer denn wurde
je zu tief gehöhlt, dem die streng gespannte
Saite erbebte?
Josef Weinheber (1892-1945)