Freitag, 30. September 2016

Zu solchen Stunden...





Zu solchen Stunden gehn wir also hin
und gehen jahrelang zu solchen Stunden,
auf einmal ist ein Horchender gefunden-
und alle Worte haben Sinn.


Dann kommt das Schweigen,das wir lang erwarten,
kommt wie die Nacht,von großen Sternen breit:
zwei Menschen wachsen wie im selben Garten,
und dieser Garten ist nicht in der Zeit.


Und wenn die beiden gleich darauf sich trennen,
beim ersten Wort ist jeder schon allein.
Sie werden lächeln und sich kaum erkennen,
aber sie werden beide größer sein…



(Rainer Maria Rilke)







Es kommt eine Zeit...




Es kommt eine Zeit
da wird es still
Da gehn die Lichter aus
da kommt ein Wind
ruft nach dem Fährmann

Der träumt den Traum
vom goldnen Schiff

(Elisabeth Borchers 1926 - 2013)







ich...




ich
sitze.
und
schaue.

draußen schneit es
Licht.


(ichbinnurneugierig)
 
 
 
 
 


Foto: Tim Maas







Süße Person...





Süße Person,
faß deine Seele an und komm,
wir wollen morgen mit einer Bimmelbahn
hinausfahren an ein Meer
und Schneckenhäuser sammeln.

Sei nicht ängstlich, greif
nach dem reiselustigen Fisch im Wasser -
mit dem Tropfenüberschuß
des letzten Regens der Erde
wasche ich dir die Augen aus,
denn du hast kein Recht zu weinen,
bevor du nicht tot bist
und ein Stern dir sagt: Weine nun, Engel!

 
(Christoph Meckel) 









Wir dürfen in einen Menschen...




Wir dürfen in einen Menschen, 
zu welchem wir ein ideales Verhältnis haben, 
nicht mehr eindringen, als wir schon eingedrungen sind,
sonst zerstören wir dieses ideale Verhältnis.

- sagte Reger-






grenzenlos bist du...




grenzenlos bist du
ein spiel aus stille und licht
luft aus deinen händen
will ich trinken

in ihr atmet
poesie

(Rea Revekka Poulharidou)






Kalendergedicht, Freitag 30. September 2016




HERBST


Goldne Fäden in der Luft,
Später Rosen letzter Duft,
Rotes Laub, der Sommer flieht,
Leise singt sein Abschiedslied
Vöglein noch aus Waldesgrund,
Halt sie fest, die schöne Stund´!


Anna Behrens-Litzmann (1850-nach 1913)
 
 
 
 
 
 
 
Foto: Tim Maas
 
 
 



Wind aus dem Mond...




Wind aus dem Mond,
plötzlich ergriffene Bäume
und ein tastend fallendes Blatt.

Durch die Zwischenräume
der schwachen Laternen
drängt die schwarze Landschaft der Fernen
in die unentschlossene Stadt.

(Rainer Maria Rilke)







Foto: Tim Maas







Donnerstag, 29. September 2016

NEKRASSOW´S LIEBESGEDICHT





NEKRASSOW´S LIEBESGEDICHT


Ach niemals werd ich vergessen
Wie ich vor Liebe krank
Von Todessehnsucht wie besessen
An diesem Ufer ging entlang

Sanft schimmerte der Strom im Dunkel
Schon trat ich an des Abhangs Rand
Da fing die Flut wild an zu funkeln
Ich stand erstarrt von Angst gebannt


Dann als ich mir dein Herz ergeben
Warst du nicht selten hier mit mir
Und hast den Fluss der mir zu leben befohlen
Oft gedankt dafür

Von dir vergessen schon seit Jahren
Irr ich nun wieder hier umher
Wird er mich weiterhin bewahren
Jetzt da mein Herz längst tot und leer


Und Todesehnsucht packt mich wieder
Hier vor dem dunklen Wellengrab
Es lockt und zieht mich zu sich nieder
Und keine Furcht schreckt mich mehr ab


(Nikolai Alexejewitsch Nekrassow)












Da tat es mir wohl...




Da tat es mir wohl, vor dir zu weinen,
um sie und für sie, um mich und für mich.
Ich ließ den Tränen, die ich zurückgehalten, freien Lauf.
Mochten sie fließen, so viel sie wollten.
Ich bettete mein Herz hinein und fand Ruhe in ihnen.


(Aurelius Augustinus)






Sommer - entflogener Traum!




Sommer - entflogener Traum!
Und Frühling - welch sagenhaft fernes Gerücht!
Ein welkes Blatt treibt still im weiten Raum,
und alle wissen: Herbst.


(Mascha Kaléko)







Foto: Tim Maas








IM REGEN GESCHRIEBEN



 
IM REGEN GESCHRIEBEN

Wer wie die Biene wäre,
die die Sonne
auch durch den Wolkenhimmel fühlt,
die den Weg zur Blüte findet
und nie die Richtung verliert,
dem lägen die Felder in ewigem Glanz,
wie kurz er auch lebte,
er würde selten weinen


(Hilde Domin)







dich lesen...




dich lesen
als seist du ein buch

geschrieben vor
allen wörtern

dich hören
im lied der amsel

noch bevor
sie singt

© Rea Revekka Poulharidou







So müde...




So müde liegen die Steine im Gras
ich wage nicht sie anzusprechen
und gehe auf Zehenspitzen

doch der Weg knarrt wie eine Treppe
der Himmel verzieht das Gesicht
Blätter überholen mich

eines treibt Sport
eines spuckt Blut
ich brech ein Wort
verteile es unter Vögeln

und verliere den Mut
mich von einer Parkbank zu stürzen

- Johanna Schwedes -






Foto: Tim Maas








Verausgabe dich...




Verausgabe dich, 
sei Regen, ein Feuersturm, halte nichts zurück, 
gib, gib dein ganzes Herz und küsse nichts, 
wofür du nicht sterben würdest.

(Sami Kuci)







Kalendergedicht, Donnerstag 29. September 2016





ABENDS IM WALDE


Warm in den weichen Wolkendaunen
Die abendmüde Sonne lacht!
Es gleitet wie ein holdes Staunen
Leis über Wald und Wiesenpracht.
Der Schatten ist in Licht zerflossen,
Der Vögel Traumgesang verhallt,
Es atmet golden übergossen
Im Sonnendunst der Fichtenwald.


Maurice Reinhold von Stern (1860-1938)








Wenn ich einmal...




Wenn ich einmal im Lebensland,
im Gelärme von Markt und Messe –
meiner Kindheit erblühte Blässe:
meinen ernsten Engel vergesse -
seine Güte und sein Gewand,
die betenden Hände, die segnende Hand, -
in meinen heimlichsten Träumen behalten
werde ich immer das Flügelfalten,
das wie eine weiße Zypresse
hinter ihm stand …

(Rainer Maria Rilke)







Foto: Tim Maas







Mittwoch, 28. September 2016

Weht der Wind nicht leise...




Weht der Wind nicht leise
über die Welt dahin?
Eine Wolkenweise.
Über mein Herz dahin.

(Alfred Mombert)






was brauchst du?...




was brauchst du? einen Baum ein Haus zu
ermessen wie groß wie klein das Leben als Mensch
wie groß wie klein wenn du aufblickst zur Krone
dich verlierst in grüner üppiger Schönheit
wie groß wie klein bedenkst du wie kurz
dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume
du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus
keines für dich allein nur einen Winkel ein Dach
zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund
die Gestirne das Gras die Blume den Himmel

- Friederike Mayröcker -






Foto: Tim Maas








alles was...




alles was in meine hand passt
schenke ich dir
etwas sonnenlicht
etwas luft
ein hineingeflüstertes gedicht
gefolgt von etwas stille:

einen augenblick, etwas wirklichkeit
und ein stück himmel


© 2016 — Freitag ist Rosa







wie zärtlich...




wie
zärtlich der mond
mit seinem licht dein haar
berührt

beinahe hätte er dich verführt

am offenen
fenster


(ichbinnurneugierig)







Kalendergedicht, Mittwoch 28. September 2016





AUS: TASCHEN-KRÜMEL


Ein niedliches Eichhörnchen
Lutschte am kleinen Zehchen.
Dort hatte es ein Wehwehchen.
Wahrscheinlich ein Leichdörnchen.


Joachim Ringelnatz (1883-1934)








Du hast...




Du hast so eine leise Art zu sein.
Und jene, die dir laute Namen weihn,
sind schon vergessen deiner Nachbarschaft.

(Rainer Maria Rilke)






Foto: Tim Maas







Dienstag, 27. September 2016

Ich...




Ich muß nicht unbedingt gewinnen, aber ich muß ehrlich sein.
Ich muß nicht unbedingt erfolgreich sein, aber ich muß nach dem Licht streben, das in mir ist.


(Abraham Lincoln)







Ich liebe das Septembergelb...




Ich liebe das Septembergelb,
den Morgentau auf Spinnenfäden,
das Blatt, das nichts am Baum mehr hält,
der kurze Tage stummes Reden.
Der Krähe Ruf, das Stoppelfeld -
mehr, als des Frühlings Drang und Hast,
ist es der Herbst, der zu mir passt.

(Alexander Smith 1829 - 1867)






Foto: Tim Maas







Und ich sitze hier am Fenster...



 
Und ich sitze hier am Fenster
Schau den Autos zu
Streichle die Katzen
Und denke, das wärst du
Ich sitze hier am Ofen
Und schaue in das Buch
Versuch die Worte zu entziffern
Doch es bleibt bei dem Versuch
Leg mich auf mein Bett
Und bin weit von hier
Mach die Augen auf
Und seh dich vor mir


- RIO REISER -













ICH BIN SO REICH IN DEINEM ANGEDENKEN




ICH BIN SO REICH IN DEINEM ANGEDENKEN

Ich bin so reich in deinem Angedenken,
Daß ich mich nimmer kann ganz einsam nennen,
Nur wenn ich ganz mich kann hinein versenken,
Vergeß ich es, daß Tal und Flut uns trennen.
Will mir die Welt die eitlen Freuden schenken,
Ich fliehe sie, und mag sie nimmer kennen,
Welt, Himmel, Lenz und Liebe sind vereint,
Wo mir dein Bild, ein süßer Stern, erscheint.


Helmina von Chézy (1783-1856)







Heute...




Heute geht ein großer Herbstwind im Park umher; die
Wege sind erfüllt von ihm und von dem was er treibt und
trägt, aber in dem Garten voll Astern und Rosen, dem Gärtner-Garten,
war es noch warm, Wärme von vielen Sommertagen,
und es war noch Aufsteigendes in den Blumenstengeln
und in den Stämmen und Ästen der Apfelbäume
zwischen denen wir umhergingen bis wir schließlich unvermittelt
jeder das Seine zu wissen glaubten.


Rainer Maria Rilke  (11. 9. 1906)







Foto: Tim Maas







Eines ist ...




Eines ist Verlassenheit, 
ein anderes Einsamkeit.

(Friedrich Nietzsche)







Kalendergedicht, Dienstag 27. September 2016





SEPTEMBER

In sanfter Herbstesbläue
Winkst du von Wald und Flur
Zum  Abschied mir, Du treue,
Du gütige Natur!

Nun darfst du wieder rasten -
Dein Leben, voll und hehr,
Stört nicht der Menschen Hasten
Und nicht ihr Sorgen mehr.


Julius Rodenberg (1831-1914)








Der Sommer geht vorbei...




Der Sommer geht vorbei,
und all seine Lieder
legen sich bis zum Mai
zum Sterben nieder...


(Konstantin Wecker)
 
 
 
 
 
 
Foto: Tim Maas
 





Montag, 26. September 2016

man merkt es nicht...




man merkt es nicht von Stunde zu Stunde. auch nicht von Tag zu Tag. Aber die Wochen merkt man. Woche für Woche kommt man dem Leben ein Stück weiter abhanden. das ist noch kein Sterben.
Sterben ist anders, das hat einen bestimmten Geruch in den Zimmern und um die Menschen herum. es ist nur ein allmähliches Abhandenkommen, und man schaut sich zu, wie es geschieht, und dass es weniger mühsam ist, Hände loszulassen als sie zu halten und wie schnell man sich daran gewöhnt, Dinge nur noch halb zu tun als ganz,
und dass es nur wenige sind, die es merken.


(ichbinnurneugierig)







dass wir so uneins sind...




dass wir so uneins sind hält uns zusammen
du dort ich hier – wir sind auf andrer fahrt:
dein istgewesen mein eswirdnochkommen
zwei blinde flecken in der gegenwart
die uns gehört wie träume vorm erwachen
wenn wir schon wissen dass wir träumer sind
die mit uns spielt ein weilchen in den winden
bis jedes hier und dort sich wiederfindet.

- Ulla Hahn -







" ... ich weiß nicht...




" ... ich weiß nicht zu sagen woher, 
oft mitten in eine moderne Stimmung ein seltsamer, zarter Duft – 
wie Lavendel aus Großmutters Wäscheschränken –
der wie ein wehmütiges Lächeln über die Worte weht ..."

(Rainer Maria Rilke)






Foto: Tim Maas








Happily ever after




Happily ever after

Doch
worüber würde ich schreiben
wenn Du mich plötzlich wolltest
einfach so

Wenn
keine Rätsel
uns mehr trennten

Wenn
lang ersehnte Träume
auf einmal ruhig schliefen
neben mir

(Und es ist wirklich wahr:
Du atmest ein und aus
Du bist ein Mensch)

                   Und wenn Sie
                                nicht gestorben sind...




(impossibilityoflove)








ins haus trat der herbst...




ins haus trat der herbst
gleich einer frau
mit dem schein der lampe.

(draussen beginnt es zu regnen)

scheu stellt sie das licht auf den tisch,
geht lautlos davon, eine bäuerin,
die nach thymian riecht und bewässertem oleaster.

- Stratis Paschalis -






EINES MORGENS RIECHST DU DEN HERBST




EINES MORGENS RIECHST DU DEN HERBST


Eines Morgens riechst du den Herbst.
Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig;
es hat sich eigentlich gar nichts geändert
und doch alles.


(Kurt Tucholsky)







Foto: Tim Maas








das feuer...




das feuer
nahm ich nur als pfand
am ende mit

verkohlte äste, zweige
bleiben dir als fingerzeig
von mir

der ich
dem leben endlich zeugnis
spende; mein eigen
zeugling

eins noch:
ein leeres haus erfüllst du
nicht mit worten

viel mehr
mit lachen, tränen und
der stille
.


(thepoemist)







Kalendergedicht, Montag 26. September 2016




UNTER DES HERBST BESCHREIBUNG


Verhanden ist die liebliche Zeit,
Die große Hitz ist gewichen,
Der angenehme Herbst viel Leut erfreut,
Rot sein, die vor erblichen.
Drauf hat gewartet der Bauer hart,
Der Herbst sein Stadel füllet,
Dem Herbst zu Gfalln, bei heißem Strahln
In Sommer sich selbst stillet.


Augustin Grieninger (um 1635-1692)






Schläft ein Lied...




Schläft ein Lied in allen Dingen
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.

(Joseph von Eichendorff)
 
 
 
 
 
 
 
Foto: Tim Maas
 
 
 
 
 
 

Sonntag, 25. September 2016

manchmal wünsche ich mir...




manchmal wünsche ich mir
ich könnte diesen traum
vergessen

und dann
halte
ich ihn
doch
fest

wie einen brief
eine blume
eine feder

als sei er das einzige
was mir von dir noch
bleibt

 
(Rea Revekka Poulharidou)








Die letzte Sonne des Jahres...




Die letzte Sonne des Jahres...

Wieder die Abschiedsvorstellung.
Was ist, was wird und war,
Verschwimmt in eines. Verändert
Bin vielleicht nur ich.
Und eines Herbstes septembert
Es ohne mich.
Die letzte Sonne des Jahres.
Der letzte Schmetterling.
Violett blüht die letzte Distel,
Da wo ich gehe und ging.


- Eva Strittmatter -






Foto: Tim Maas







BITTE II




BITTE II

Sei sanft, wenn du kannst, das Leben
Ist sowieso hart und schwer.
Vielleicht hat es das früher gegeben,
Jetzt gibt es das nicht mehr:
Leicht sein und einfach leben
Ohne Nutzungs- und Musterungsschein.
Wenn wir uns nicht Liebe geben,
Uns umfangen und uns erheben,
Betonieren sie uns ein.


(Eva Strittmatter)







Wir haben...




Wir haben, wo wir lieben, ja nur dies:
einander lassen; denn dass wir uns halten,
das fällt uns leicht und ist nicht erst zu lernen.

(Rainer Maria Rilke) 







Kalendergedicht, Sonntag 25. September 2016




WANDERLIEDER - VIII


Ich tret´in Waldesschatten
Zu halten kurze Rast,
Die Vögel in den Zweigen
Begrüßen mich als Gast.

Des grünen Mooses Decke,
Die ladet mich zur Ruh,
Ich bin vom Wandern müde,
Die Augen fallen mir zu.



Emma von Brandis-Zelion (1840-1909)






Foto: Tim Maas







Ich blick' in die Ferne...




Ich blick' in die Ferne,
Ich seh' in der Näh'
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.

So seh' ich in allen
Die ewige Zier,
Und wie mir's gefallen,
Gefall' ich auch mir.

(Johann Wolfgang von Goethe)







Foto: Tim Maas







Samstag, 24. September 2016

Dich...




Dich leicht berühren
Dass niemand es sieht
Dich leise besuchen
Dass der Tag weiterzieht
Dann still mit dir sprechen
Dass die Zeit vor uns flieht

(Levrai)





Foto: Tim Maas








Denn das...




“Denn das glaube ich manchmal: 
daß die Worte durch die Luft gehen und übers Meer, 
daß sie zwischen den Jahrhunderten hin und her fliegen.
Manchmal glaube ich, daß Worte die Flügel der Menschen sind.”

(Aus "Erst grau dann weiß dann blau" von Margriet de Moor)






Das Wachsen von Träumen...




Das Wachsen von Träumen
macht Angst
als fehlten die Flügel
diese Mauern
zu überfliegen.

- Hilde Domin -






Mit dir...




Mit dir hab ich beredet,
was sonst keiner weiß.
Auf vielen langen Straßen
warst du mir Einsamkeit.


(Karin Boye)






Foto: Tim Maas







NUR EINE SCHMALE WAND





NUR EINE SCHMALE WAND

Nur eine schmale Wand ist zwischen uns,
durch Zufall; denn es könnte sein:
ein Rufen deines oder meines Munds –
und sie bricht ein
ganz ohne Lärm und Laut.


(Rainer Maria Rilke)







Kalendergedicht, Samstag 24. September 2016




 
ÜBER EIN GLÜCK, DAS DU FLÜCHTIG BESESSEN

Über ein Glück, das du flüchtig besessen,
Tröstet Erinnern, tröstet Vergessen,
Tröstet die alles heilende Zeit.
Aber die Träume, die nie errungnen,
Nie vergeßnen und nie bezwungnen,
Nimmer verläßt dich ihr sehnendes Leid.



Isolde Kurz (1853-1944)







(...) Und der Traum...




(...)
Und der Traum, der dir nachstellt,
schattenfüssig,
dein Traum
hat Herbstaugen.

(Hilde Domin)







Foto: Tim Maas








Freitag, 23. September 2016

AN ANNA BLUME




AN ANNA BLUME


Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
Du, Deiner; Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - wir?
Das gehört beiläufig nicht hierher!

Wer bist Du , ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
Die Leute sagen, Du wärest.
Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.

Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die
            Hände,
auf den Händen wanderst Du.

Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägst,
Rot liebe ich, Anna Blume, rot liebe ich Dir.
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - - wir?
Das gehört beiläufig in die kalte Glut!
Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?

            Preisfrage:
            1.) Anna Blume hat ein Vogel,
            2.) Anna Blume ist rot.
            3.) Welche Farbe hat der Vogel.

Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - wir!
Das gehört beiläufig in die - - - Glutenkiste.

Anna Blume, Anna, A - - - - N - - - -N- - - - -A!
Ich träufle Deinen Namen.
Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.

Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
Man kann Dich auch von hinten lesen.
Und Du, Du Herrlichste von allen,
Du bist von hinten und von vorne:
A - - - - - - N - - - - - N - - - - - -A.
Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken.
Anna Blume,
Du tropfes Tier,
Ich - - - - - - - liebe - - - - - - - Dir!



(Kurt Schwitters)














Rück mit dem Stuhl...




Rück mit dem Stuhl
heran
Bis an den Rand des
Abgrunds.
Dann erzähl ich dir meine
Geschichte.


(F. Scott Fitzgerald)







HUNDSTAGE




HUNDSTAGE

Es riecht nach
Heu Hitze und
Weissem Klee.
Träume steigen
Auf an die
Himmelsränder.

(Sarah Kirsch)






Der Herbstmond...





Der Herbstmond
führt uns an der Nase herum.
Es scheint, als dächte
ich durch ihn an dich
und du durch ihn an mich ­–
dabei sind wir beide
nur einsame Hasenkinder.


© Susanne Popp







es ist zeit.





es ist zeit.
die kraniche ziehen.
in meinen träumen bin ich am meer. sammle muscheln.
gebe ihnen namen. die schönste benenne ich nach dir.
am morgen schwimme ich zurück, in deine arme.
erzähle dir von spuren im sand, von verzauberten muscheln.
zeige dir die eine, die nun deinen namen trägt. halte sie an dein ohr.
sie ruft dich.
am himmel ziehen kraniche.
es ist zeit.

 
- Otto Lenk -
 
 
 
 
 
 
 
 
Foto: Tim Maas
 







da liest du...




da liest du ein paar Zeilen, und weißt, für den Rest des Tages wird eine heimliche Stille in dir bleiben,
du wirst reden und lächeln und deine Wege gehen, aber das Herz wird dir leiser schlagen, und keiner wird es hören,
und keiner wird wissen, warum.

(ichbinnurneugierig)







SEPTEMBER




SEPTEMBER


Der Garten trauert,
kühl sinkt in die Blumen der Regen.
Der Sommer schauert
still seinem Ende entgegen.


Golden tropft Blatt um Blatt
nieder vom hohen Akazienbaum.
Sommer lächelt erstaunt und matt
in den sterbenden Gartentraum.


Lange noch bei den Rosen
bleibt er stehn, sehnt sich nach Ruh,
langsam tut er
die müdgeword'nen Augen zu.


(Hermann Hesse)






Foto: Tim Maas








den langen weg ...




den langen weg nachhause
laufen wir unter freiem himmel
es gibt keinen entwurf
für das leben
man ist immer genau dort
wo man gerade ist
du machst einen schritt
und jetzt? fragst du mich
jetzt sind wir nicht mehr dort
sondern hier, sage ich
das jetzt ändert sich stetig
wir gehen weiter
hier wird dort
hier wird dort
hier wird dort
jetzt nimmst du meine hand.

© 2016 — Freitag ist Rosa 







Kalendergedicht, Freitag 23. September 2016




DER GELBEN ASTERN EIN LIED


Sie blicken durch den Regen hell mich an,
so licht, dass sie die Sonne mir ersetzen.
Und gar nichts von des Regens Trauer kann
die leuchtend gelbe Freude mir verletzen.
Auflachend neigen sie sich in dem Grün,
das rein und frisch ihr Lachen mir begleitet -
ich leg' ihnen mein Lied zu Füßen hin,
weil sie mir eine Freude heut bereitet.
30.6.1941


Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942)







"Man liebt das...




"Man liebt das, wofür man sich müht,
und man müht sich für das, was man liebt."


(Erich Fromm)
 
 
 
 
 
 
Foto: Tim Maas
 
 
 
 
 
 
 
 

Donnerstag, 22. September 2016

“Du sollst ja nicht weinen...



 
“Du sollst ja nicht weinen,
sagt eine Musik.

Sonst
sagt
niemand
etwas.”


(Ingeborg Bachmann, aus "Eine Art Verlust")















manchmal...




manchmal scheint es. als wären
all unsere worte für liebe
in einer fremdsprache
geschrieben

verhalten
erreichen sie
uns

angefüllt mit ihrer eigenen stille

eine stille. die uns erlaubt
eine neue geschichte
zu erfinden

eine geschichte
die uns
erlöst

© Rea Revekka Poulharidou







GEFUNDEN



GEFUNDEN

Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich,
Ein Blümchen stehn ,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen
Da sagt’ es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Ich grub’s mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich’s
Am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.

(Johann Wolfgang von Goethe)














Aber wohin...



 
Aber wohin
frage ich

Heimwärts

Aber wo ist das
frage ich

Innen
sagte die Stimme

 
(Doris Mühringer) 






Mir ist...




Mir ist, als ob ein tiefer Drang
Im stummen Herz sich rührte,
Mir ist, als ob ich leisen Sang
In meiner Seele spürte.


(Stefan Zweig)
 
 
 
 
 

Foto: Tim Maas







Für eine große Liebe...




Für eine große Liebe
braucht es zwei Einzelgänger
und ein Gedicht.

(Wolf Wondratschek)













Dann wurden...




Dann wurden Liebespaare unmodern.
Wir hörten auch ein wenig auf,
uns sehr zu lieben.

(Wolf Wondratschek)






Wir haben...




Wir haben, wo wir lieben, ja nur dies:
einander lassen; denn dass wir uns halten,
das fällt uns leicht und ist nicht erst zu lernen.

(Rainer Maria Rilke)






Kalendergedicht, Donnerstag 22. September 2016




HERBSTGEDANKEN

Schon wieder ist der Herbst ins Land gezogen;
Der Sense fiel das Aehrenfeld zum Raube.
Mit welken Blättern spielt der Wind im Staube,
Und auf den Wiesen graue Nebel wogen.

Zugvögel kommen schaarenweise geflogen;
Sie ziehn ins Land, wo noch mit grünem Laube
Geschmückt die Wälder prangen, wo die Traube
Reift unter ewig blauem Himmelsbogen.



Stine Andresen (1849-1927)







Ich glaube...




Ich glaube,
dass jeder Mensch
im tiefsten seines Herzens
eine Ahnung davon hat, dass er
auf dieser Erde nicht zu Hause,
jedenfalls nicht ganz zu Hause ist.

(Manfred Jahnel)






Foto: Tim Maas








Mittwoch, 21. September 2016

Geduld...




Geduld ist das Schwerste und das Einzige,
was lernen sich lohnt. Alle Natur, alles
Wachstum, aller Friede, alles Gedeihen
und Schöne in der Welt beruht auf Geduld,
braucht Zeit, braucht Stille, braucht Vertrauen.

(Hermann Hesse)






Das Liebhaben...




Das Liebhaben ist gewiss das größte Wunder
im Himmel und auf Erden und das Einzige,
von dem ich mir vorstellen kann,
dass ich es in Ewigkeit nicht satt bekommen werde.


(Caroline Claudius-Perthes)






Und darum...




Und darum
Weil ich frei im höchsten Sinne
Weil ich anfangslos mich fühle
Darum weiß ich
Dass ich endlos
Dass ich unzerstörbar bin


(Friedrich Hölderlin)
 
 
 
 


Foto: Tim Maas







DIE BLINDE




DIE BLINDE

(...)

Was soll mir ein Buch?
In den Bäumen blättert der Wind;
und ich weiß, was dorten für Worte sind,
und wiederhole sie manchmal leis.
Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht,
findet meine Augen nicht.....

(Rainer Maria Rilke)