Montag, 8. August 2016

AN EINE, DIE VORÜBERGING




AN EINE, DIE VORÜBERGING

Der wilde Straßenlärm betäubend mich umfing.
In tiefer Trauer, groß und schlank, ein Bild des Leides,
Kam eine Frau vorbei und hob den Saum des Kleides
Mit zierlich feiner Hand, da sie vorüberging

In elegantem Stolz, ein Marmorbild, das schreitet.
Ich aber trank gebannt und gleichsam wie im Wahn
Aus ihren Augen, wie ein Himmel im Orkan,
Die Süße, die entzückt, die Lust, die Tod bereitet.

Ein Blitz… und wieder Nacht! – O Schönheit, die mir flieht
Und die mit ihrem Blick mich plötzlich neu geboren,
Ob vor der Ewigkeit mein Aug dich wiedersieht?

Vorbei! Zu spät! Vielleicht für immer mir verloren!
Du weißt nicht, wer ich bin, ich weiß nicht, wie du heißt,
O dich hätt ich geliebt, o du, die du es weißt!


(Aus: Charles Baudelaire „Les fleurs du mal“, übertragen von Carl Fischer)