Donnerstag, 28. April 2016

Jugendliebe a.D.





JUGENDLIEBE A.D.

Die ganze Nacht hindurch hat es geregnet.
Mir ahnte gleich: der Tag fängt nicht gut an.
Um Mittag kam vom Steueramt der Mann,
Und dann am Abend bin ich dir begegnet.

Ich hätte dich beinahe nicht erkannt.
Du hast dich sehr verändert in den Jahren.
Auch ich hab zwischendurch sehr viel erfahren.
Mein Optimismus trat in Ruhestand.

– Was ich so treibe…? Nicht sehr viel. Man trottet
So nach und nach sein kleines Pensum ab.
Und meine Träume hab ich eingemottet.
Ich wuchs heraus. Nun sind sie mir zu knapp…

Du fragst so viel. – Ob ich jetzt glücklich sei,
Ob ich verliebt sei. Wie es sonst mir ginge…
Ich frage nichts. Dein Blick sagt mancherlei.
Es war einmal…Doch das sind tote Dinge.

- Heut bist du Prokrist und hast zwei Kinder.
Dein Lebenswandel ist korrekt, banal.
Du hattest einst ein andres Ideal;
Doch dieses scheint vernünftig und gesünder.

Ich sehe dich, vergangne schöne Jahre,
Und wie die Zeit uns durch die Finger rinnt.
Auch ich bin längst nicht mehr das große Kind.
Ich glaube nicht mehr an das Winderbare -

Was übrig blieb von unsern großen Zielen,
Ist jetzt Gerümpel und nicht aktuell.
 - Ich denk an Gottes sogenannte Mühlen:
Sie mahlen doch zuweilen ziemlich schnell...


(Mascha Kaléko)