Montag, 31. Oktober 2016

Wenn Du vor mir stehst...




Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, 
was weißt Du von den Schmerzen, 
die in mir sind und was weiß ich von den Deinen.
Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde 
und weinen und erzählen, 
was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, 
wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. 
Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, 
so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang
zur Hölle.“


(Franz Kafka)
 
 
 










DU UND ICH





DU UND ICH

Du und ich
Wunschlose Seligkeit
Strömt deine Nähe über mich.
Der Alltag wird zur Sonntagszeit,
Unsterblich schlingt das Leben sich
Um uns. Und Menschengöttlichkeit
Fühl' ich bei dir durch dich.

Was einst gewesen, weiß ich kaum.
Die enge Welt wird weiter Raum.
Und Holz wird Eisen, Eisen Holz
Und Stolz wird Demut, Demut Stolz.
Gar wunderbare Weisen
Singt dann bei seinen Kreisen
Mein Blut im Paradies für mich.
Es haben alle Wünsche Ruh', -
Ich weiß nicht mehr, wer bist dann du.
Ich weiß nicht mehr, wer bin dann ich.

(Max Dauthendey)






Foto: Tim Maas








ein lächeln...




ein
lächeln

wo zwei von liebe
sprechen

so

ein
versonnenes
lächeln

als
meinten
sie
wirklich
sich

(ichbinnurneugierig)







herbst II




herbst II

landschaft am morgen
unausgesprochen
silhouetten beschreiben
das licht

sanft, ganz sanft
so dass niemand merkt
wie gewaltsam
das alles endet


(schreibland)






Foto: Tim Maas







DU WARST SCHON HIER




 
DU WARST SCHON HIER

Du warst schon hier,
ehe du eingetreten bist,
und wenn du gehst,
wirst du nicht wissen,
dass du bleibst.

(Jorge Luis Borges)






Kalendergedicht, Montag 31. Oktober 2016




NEBELBILD


Der Herbstwind schauert im Gesträuch,
Die weite Flur wie totenstill!
Ringsum der Nebel zäh und bleich,
Der Erd´und Himmel mischen will.

Und hier ein Baum und dort ein Halm
Starrt wunderlich verschleiert vor.
Aus Stoppelfeuern wälzt der Qualm
In träger Wolke sich empor.


Paul Heyse (1830-1914)
 
 
 
 


Foto: Tim Maas







HERBST



(...)

Tage weichen
unaufhaltsam
Tagen

ich trage   
Nebel
in den Haaren

bis auch
ein letzter
Atemzug
vergeht im Wind

© Anke Maggauer-Kirsche 
  
 
 
 


Foto: Tim Maas







Sonntag, 30. Oktober 2016

NACHTSTÜCK




„Nachtstück“


Längst fiel von den Bäumen
Das letzte Blatt,
In Schlaf und Träumen
Liegt nun die Stadt;
Die Fenster verdunkeln
Sich Haus an Haus
Und drüberhin funkeln
Die Sterne sich aus;
Kalt weht es vom Strom her,
Der Eisgang kracht,
Und drüben vom Dom her
Dröhnt's Mitternacht.
Ich aber schleppe mich zitternd nach Haus –
Der Nordwind bläst die Laternen aus!

(...)


(Arno Holz)












Aus schwerem Schlaf...




Aus schwerem Schlaf
plötzlich erwacht,
— es ist noch Alles dunkel, ich liege da —
formt sich, in mir, langsam, eine Strophe.
Ueber den Sternen . . .
Ueber den Sternen . . .
Ueber den Sternen hängt eine Harfe.
Selig sitzt die Nacht und singt.
Singt, dass die zitternden Herzen klopfen!
Aus den Saiten Sonnen tropfen.
Ueber den Sternen hängt eine Harfe,
selig sitzt die Nacht und singt!
Die Augen zu, die Zähne zusammen,
dass ich nicht schluchze!


(Arno Holz)






HERBSTGANG




HERBSTGANG


Nun steht die Sonne tief.

Man kommt ins Gespräch
mit seinem immer ausführlicher
werdenden Schatten.

Wenig Neues
dabei zu erfahren.

Aber das Alte gewinnt
seine Wahrheit zurück,
daß es einem
die Kehle zuschnürt.


(Rainer Malkowski)






GEDANKEN




GEDANKEN

Sag mir etwas,
etwas, das ich nicht kenne.
Etwas über Glück
oder Zufriedenheit.
Erzähl mir etwas,
etwas über ein Gedicht,
wo der Tod
nicht vorkommt.
Sing mir ein Liebeslied
ohne Liebesleid.
Sag mir etwas,
etwas über das,
was ich SUCHE,
damit ich da suchen kann,
wo ich nie gesucht habe.
Laß mich hören
von etwas,
das ich nicht kenne,
etwas über Zärtlichkeit
oder Geborgenheit und Wärme.
Lies mir ein Märchen vor,
worin das wahre Leben
nicht vorkommt.
Laß mich einen Traum träumen,
der kein Ende hat.
Sag mir etwas
über den Sinn
meines daSEINS,
damit ich
ICH sein kann.


(Serap Tamet)







twitter #BuchSatzPhoto #2016Satz22 "Der Morgen graute."





Aus dem Nebel
rufst du.

Dein Spiel heißt
Anfang und Ende,
du Rätsel
ewig schön.

(Patricia Schuster)







Foto: Tim Maas








Eine gute Zeit ...




    Eine gute Zeit fällt nicht vom Himmel
Wir schaffen sie selbst:

    Sie liegt bereit in unserem Herzen.


    (Fjodor Michailowitsch Dostojewski) 
 




schreib dich...




schreib dich
schreib dich in meine handlinien
immer will ich dich
bei mir tragen

© Rea Revekka Poulharidou






Kalendergedicht, Sonntag 30. Oktober 2016



ABENDROT IM WALDE


In den Wald bin ich geflüchtet,
Ein zu Tod gehetztes Wild,
Da die letzte Glut der Sonne
Längs den glatten Stämmen quillt.

Keuchend lieg ich. Mir zu Seiten
Blutet, siehe, Moos und Stein -
Strömt das Blut aus meinen Wunden?
Oder ists der Abendschein?



Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)











DER SPERLING UND DAS KÄNGURU




DER SPERLING UND DAS KÄNGURU


In seinem Zaun das Känguruh –
es hockt und guckt dem Sperling zu.

Der Sperling sitzt auf dem Gebäude –
doch ohne sonderliche Freude.

Vielmehr, er fühlt, den Kopf geduckt,
wie ihn das Känguruh beguckt.

Der Sperling sträubt den Federflaus –
die Sache ist auch gar zu kraus.

Ihm ist, als ob er kaum noch säße ...
Wenn nun das Känguruh ihn fräße?!

Doch dieses dreht nach einer Stunde
den Kopf aus irgend einem Grunde,

vielleicht auch ohne tiefern Sinn,
nach einer andern Richtung hin.


(Christian Morgenstern)





Foto: Tim Maas








Samstag, 29. Oktober 2016

Nicht das Glück...




Nicht das Glück, der Schmerz gab ihm die Sprache, 
die Not lehrte ihn sprechen,
er ist eine Wunde, die Wörter blutet, 
die ins Dunkel fallen.

(Sami Kuci)






Foto: Tim Maas








DAS SCHWERE



 
DAS SCHWERE

Die Landschaft sehen
und die Landschaft hören
und nicht nur hören und sehen
die eigenen Gedanken
die kommen und gehen
beim Denken an die Landschaft
an die Landschaft ohne dich
oder an dich in der Landschaft

Vögel die steigen
hinauf in den Morgenhimmel
sind keine Raumschiffe
keine singenden Skalpelle
Nicht einmal Kinderdrachen sind sie
denn die gehören
nur dann zur Landschaft
wenn wirkliche Kinder
wirkliche Drachen steigen lassen im Wind

Und das Grau
unter den Bäumen
an einem verregneten Mittag
ist keine Höhle
für lauernde Meerungeheuer
sondern es ist nur das Grau unter den Bäumen
die vielleicht Unterschlupf sein können
vor dem Regen

Und auch die Sonne hat
keine rotblonden Haare
und der Mond hat auch ohne dich
keinen wehenden weißen Bart
Und der Abend ist der Abend
und die Nacht ist die Nacht
und Spätherbst ist immer die Zeit
zwischen Ernte und Sterben


(Erich Fried)














Wer zugleich...




Wer zugleich seinen Schatten und sein Licht wahrnimmt, 
ieht sich von zwei Seiten,
und damit kommt er in die Mitte.


(C.G.Jung)






EINVERSTÄNDNIS



 
EINVERSTÄNDNIS

Nun, dann soll es regnen,
denn ich will
über Regen schreiben :
über dunkle, nasse Wunden
in den Fassaden,
über Straßen, die verlassen sind
und deshalb kaum noch
wirklich scheinen,
über träumend-irren Schimmer,
der auf dem Asphalt
und allen Pflastersteinen liegt,
als phantasierten sie im Schmerz.

Nun, dann soll es regnen,
denn wenn ich ehrlich schriebe,
daß ich weine,
dann glaubtest Du mir nicht.


(Jost Renner)






das Sagbare sagen...




das Sagbare sagen
das Erfahrbare erfahren
das Entscheidbare entscheiden
das Erreichbare erreichen
das Wiederholbare wiederholen
das Beendbare beenden

das nicht Sagbare
das nicht Erfahrbare
das nicht Entscheidbare
das nicht Erreichbare
das nicht Wiederholbare
das nicht Beendbare

das nicht Beendbare nicht beenden


(Helmut Heißenbüttel)






ABSCHIED




ABSCHIED

Sag mir, dass du dich im Föhnwind sehnst
Und dass du trauern würdest,
Wenn ich ginge.
Sag mir, dass diese Tage schön sind
Und dass du weinen wirst,
Wenn ich nicht singe.

Sag mir, dass du dem Leben gut bist.
Sag meiner Stimme,
Dass sie nie verwehe...
Und dass du heiter und voll frohen Mut bist,
Auch wenn ich lange Zeit
Dich nicht mehr sehe.

Sag mir, dass ich ein töricht Kind bin,
Und streichle mich, wie eine junge Meise.
Sag mir, dass ich zu dir zurückfind,
Auch wenn die Nächte dunkel sind,
Durch die ich reise.

(Hugo Ball)







Foto: Tim Maas




 


Das Unglück oder das Glück...




Das Unglück
oder das Glück
was immer es ist
hält seine schmale
zerbrechliche Hand
im Schoß
und hält seinen Schoß
in der Hand
und hat helles Haar
und spricht
oder singt
mit weicher Stimme
für Ohren
die sonst nichts mehr
hören wollen
als es


(Erich Fried)






Kalendergedicht, Samstag 29. Oktober 2016





KNABE


Hält die Augen in die Welt
Wie zwei schwarze Renner.
Zügelt sie kaum,
Aller Helden Held:
Weit dein Traum,
Reich ohne Raum.


Peter Hille (1854-1904)






"Und ich irre blind...




"Und ich irre blind
im wilden Wind ...
er treibt mich matt
hin und her
wie im Sturmesmeer
ein welkes Blatt."


(Paul Verlaine)






Foto: Tim Maas








ICH LIEBE DICH



 
ICH LIEBE DICH

Ich liebe dich
Und finde dich
Wenn auch der Tag ganz dunkel wird.

Mein Lebelang
Und immer noch
Bin suchend ich umhergeirrt.

Ich liebe dich!
Ich liebe dich!
Ich liebe dich!

Es öffnen deine Lippen sich ...
Die Welt ist taub,
Die Welt ist blind

Und auch die Wolke
Und das Laub -
- Nur wir, der goldene Staub
Aus dem wir zwei bereitet:

- Sind!


(Else Lasker-Schüler)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Freitag, 28. Oktober 2016

(...) Ich muß nichts mehr entbehren jetzt...




(...)

Ich muß nichts mehr entbehren jetzt,
alle Farben sind übersetzt
in Geräusch und Geruch.
Und sie klingen unendlich schön
als Töne.
Was soll mir ein Buch?
In den Bäumen blättert der Wind;
und ich weiß, was dorten für Worte sind,
und wiederhole sie manchmal leis.
Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht,
findet meine Augen nicht ...

(Rainer Maria Rilke)






Foto: Tim Maas







DIE SPINNE




DIE SPINNE

Ich pflücke ein paar
braune Blätter
aus meiner Geranie.

Im Sommer saß da
immer eine Spinne drin.

Zu der Zeit habe ich so oft
an Dich gedacht und an die Spinne
aus dem Stadtneurotiker.

Ich hätte gerne angerufen.

Aber jetzt ist Herbst
und die Spinne hat
ganz ohne Dein Zutun
ein neues Plätzchen gefunden
so wie meine Gedanken
auch.

 
(impossibilityoflove)













Weil Du ohnehin bald stirbst...




Weil Du ohnehin bald stirbst,
früher oder später,
oder ich,
weil ich mir vielleicht das Leben nehme
oder Dir
oder Du mir
oder Du mich verlässt,
was das Gleiche ist,
weil Du mich schon vielleicht verlassen hast
oder ich Dich,
weil wir uns gleich verletzen,
weil wir alles falsch gemacht haben,
machen
machen werden
weil alles falsch ist,
weil alles tot ist,
weil alles nichts ist und
das Nichts alles erfüllt,
liebe ich Dich schnell noch einmal,
weil ich gleich weiter muss,
wohin auch.


(Matthias Böke)






schönheit und schrecken...




schönheit und schrecken, chaos und form;
ich träum nicht mehr von grünen wiesen
und auch das fliegen hab ich aufgegeben,
as always: just for you.
den schönsten zweig wollt ich dir schenken,
nimmermehr ans fliegen denken;
das federkleid hab ich verbrannt,
ich trage meine regungslosen züge.


(Levin Westermann)
 
 
 
 


Foto: Tim Maas







du bist nicht hier...




du bist nicht
hier

und doch ist mein
kopfkissen

von deinen
tränen

nass

(thepoemist)






Kalendergedicht, Freitag 28. Oktober 2016




DES GALERENSKLAVEN MORGENLIED


Der Nebel fällt, die Sonne siegt!
Und wer in Fesseln und Banden liegt,
Erhebe sein Haupt und singe!
Der Zeisig hüpfet im Bauer umher,
Und denkt der säuselnden Lüfte nicht mehr,
Und ist auch guter Dinge.



August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)






steuer dein boot an mein ufer...




steuer dein boot an mein ufer
dort unten wo der wind
mit dem schilf spielt
liegt meine seele
wartend
im sand

© 2016 — Freitag ist Rosa






Foto: Tim Maas







Donnerstag, 27. Oktober 2016

Goethes Erben - Lilien




Goethes Erben Lilien


Nie wird das blumige Kleid unserer beider Freundschaft welken.
Welcher Vorgang stirbt mit dem Untergang der Träume
Obwohl die Bedeutung leugnet wahr zu sein?
Die Jugend wehrt sich vor dem Sterben
Dem letzten Wechselspiel entwester Träume.
Nur der Morgen vermag allein zu sein.

(...)











Wie viel wir übersehen...




Wie viel wir übersehen, um zu sehen, was wir lieben. 
Wird' s geliebt, steht's einsam da.
Nichts ist gefährdeter, als das, was wir lieben.


(Sami Kuci)





Foto: Tim Maas







Dort, wo man im Traum umhergeht...




Dort, wo man im Traum umhergeht,
muß es wie Tau von den Bäumen tropfen.
Als ich heute Morgen erwachte,
war mein Ärmel von Tränen naß.

(Ki No Tsurayuki)






der atem deines traums...




der atem deines traums will ich sein
den du vergisst zu wecken

© Rea Revekka Poulharidou






Foto: Tim Maas







Gleiche nicht jenem...




Gleiche nicht jenem,
der am Kamin sitzt und wartet,
bis das Feuer ausgeht,
und dann umsonst in die erkaltete Asche bläst.
Gib die Hoffnung nicht auf,
und verzweifle nicht wegen vergangener Dinge!
Unwiederbringliches zu beweinen,
gehört zu den ärgsten Schwächen des Menschen.

(Khalil Gibran)






Kalendergedicht, Donnerstag 27. Oktober 2016




IM STEPPENSTAUB


Was wirbelst wild du, Staub umher
Und wirfst dich mir entgegen?
Wohl wähnst du gar zur Gegenwehr
Den Wandrer anzuregen!


O wirble du auch noch so kühn!
Ich lege still mich nieder.
Was soll ich weiter mich bemühn,
Du fällst von selbst ja nieder.



Edward Dorer-Egloff (1807-1864)






Deinen Blick suchen...




Deinen Blick suchen
der nur mir leuchtend winkt.

Sein Geheimnis bewahren
und gewiss sein, das in einem
Bruchteil der Zeit
sich Seelen berührten.


(Angelika Röhrig)
 
 
 



Foto: Tim Maas








Mittwoch, 26. Oktober 2016

Am Abend...




Am Abend war der Tag
wie verflogen

Nur einzelne Kratzer an
der Seele sprachen dafür
dass er gelebt wurde

Am Wegrand Vergissmeinnicht

 
(Gerhard Rombach)







der wald hinter den gedanken...




der wald hinter den gedanken,
die regentropfen an ihnen
und der herbst, der sie vergilben lässt –
ach, himbeerranken aussprechen,
dir beeren ins ohr flüstern,
die roten, die ins moos fielen.
dein ohr versteht sie nicht,
mein mund spricht sie nicht aus,
worte halten ihren verfall nicht auf.
hand in hand zwischen undenkbaren gedanken.
im dickicht verliert sich die spur.
der mond schlägt sein auge auf,
gelb und für immer.

- günter eich -
 
 
 
 


Foto: Tim Maas







NUR DICH




NUR DICH


Der Himmel trägt im Wolkengürtel
Den gebogenen Mond.
Unter dem Sichelbild
Will ich in deiner Hand ruhn.

Immer muß ich wie der Sturm will,
Bin ein Meer ohne Strand.

Aber seit du meine Muscheln suchst,
Leuchtet mein Herz.

Das liegt auf meinem Grund
Verzaubert.

Vielleicht ist mein Herz die Welt,
Pocht -

Und sucht nur noch dich -
Wie soll ich dich rufen?


(Else Lasker-Schüler)







orte erstrecken sich...




orte
erstrecken sich unterschiedlich weit
in den himmel

der luftraum
über den grundstücken ist die wahre ursache für die heimliche traurigkeit
des spaziergängers


(ichbinnurneugierig)






ich wünschte du wärst hier.




ich wünschte du wärst hier.
herbst ist die schwerste jahreszeit.
blätter fallen als hätten sie sich in die erde verliebt.
bäume frieren. sind nackt und einsam.
ich versuche ihnen zu erklären. immer und immer wieder.
neue blätter werden kommen. im frühling.
aber bäumen kannst du solche dinge nicht erzählen.
sie sind wie ich. sie stehen nur herum. und hören nicht.
ich wünschte
du wärst
hier

(Rea Revekka Poulharidou)
 
 
 
 


Foto: Tim Maas







So vieles geschieht...




So vieles geschieht,
wenn niemand darauf achtet,
vielleicht,
weil niemand darauf achtet.


(Robert Bly)






Kalendergedicht, Mittwoch 26. Oktober 2016





SCHWINDENDER MOND - 14.


Sacht ein letzter weißer Klang
Schwingt in schmalem, dünnem Bogen
Über lavadunklen Bergen
Und
Verklingt.

Schmal in grauem Schweigen
Zieht auf dünnen Nebeladern
Blaß ein Schatten in die Schatten.



Max Dauthendey (1867-1918)







Ach, es gibt keine schmerzlichere Sehnsucht...





Ach, es gibt keine schmerzlichere Sehnsucht als die nach Dingen,
die nie waren!


(Fernando Pessoa)
 
 
 
 



Foto: Tim Maas








Dienstag, 25. Oktober 2016

JA



JA

Du bist so weit.
So weit wie ein Stern, den ich zu fassen geglaubt.
Und doch bist du nah –
nur ein wenig verstaubt
wie vergangene Zeit.
Ja.

Du bist so groß.
So groß wie der Schatten von jenem Baum.
Und doch bist du da –
nur blaß wie ein Traum
in meinem Schoß.
Ja.
6.7.1941


(Selma Meerbaum-Eisinger)
 
 
 
 
 
 
 
 






MEIN LIED




MEIN LIED

Auch in mir ist ein Lied,
das schön ist
und doch wohl niemals Antwort findet.
Denn meine Stimme ist
allzu zaghaft, und die Töne sind beinahe
unhörbar.
So weiß ich es niemandem
zu singen
als dem nächtlichen Himmel allein.
Ich wünschte mir,
Du schliefest nicht und könntest es hören !


© Jost Renner













Nichts weiß die Ungeduld...





Nichts weiß die Ungeduld vom Schönen. 
Was da ist, wird schön, wenn du dir die Zeit nimmst, es zu betrachten.
In der Stille wohnt das Schöne.

(Sami Kuci)
 
 
 
 
 
 
 
Foto: Tim Maas
 
 





die hände...




die
hände in die sonne
gehalten

ein stück licht
in die manteltasche verborgen

heimlich
nach hause getragen

nicht losgelassen

bis
nacht
war

(caeliriva)





Auf meiner Hand liegt eine Flaumfeder...




Auf meiner Hand liegt eine Flaumfeder,
die vom Himmel herabgesunken ist,
hellgrau mit einem Hauch von Rosa.
Der Vogel, der sie verloren hat,
weiss nichts von meinem Glück.

(Toyotama Tsuno)





FEDERLEICHT




FEDERLEICHT

Meine Liebe zu Dir
war nie leicht
wie eine Feder,
die losgelöst
in lauen Lüften schwebt,
hinübergeweht wird
zur hellen Sonne.

Du hattest mich gern,
wie der unbändige Sturm,
der wild
vom Horizont braust,
die Feder erfasst
und sie vergisst.


(Annette Gonserowski)






Foto: Tim Maas








Nichts hat sich ereignet...




Nichts hat sich ereignet
Hab Holz gehackt und das Holz
redete von Glut
zweiundzwanzig Briefe geschrieben zwei erhalten
dem Regen zugesehn
wie er vom Wind auf Händen
getragen wurde und doch fiel
Ein anderer bin ich jetzt

(Christoph Wilhelm Aigner)






Kalendergedicht, Dienstag 25. Oktober 2016




REGEN UND SONNENSCHEIN


Ist Glück nur ein Kraut für Sonnenschein,
Oder kann es auch gedeihn
Im Regen?
Ja, unter Gottes Segen
Kann es gedeihn
Im Regen und Sonnenschein;
Wo aber Gott nicht segnet,
Ist auch das Glück in der Sonne verregnet.


Anna Karbe (1852-1875)







Rings ein Verstummen...




Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.

(Nikolaus Lenau)
 
 
 
 


Foto: Tim Maas







Montag, 24. Oktober 2016

Wir wissen wenig voneinander.



 
Wir wissen wenig voneinander. 
Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, 
aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder
aneinander ab, – wir sind sehr einsam.

(Georg Büchner) 







Foto: Tim Maas







VERHÄNGNIS




 
VERHÄNGNIS

Nachts
brach die Blume
im Wind
der Schlaf
lag verlassen
unter dem Bett
verwegene
Versprechen
lösten sich ein


(Hermann Josef Schmitz)
 
 
 
 
 
 







die nacht ist verschwunden...





die nacht ist verschwunden
nur ich bin noch da

vor dem fenster lärmen
fallende blätter
die winterstille
hat noch nicht begonnen

in mir langweilt sich
die eigene zärtlichkeit

 
© 2014 — Freitag ist Rosa







Foto: Tim Maas









DER TAG ENTSCHLUMMERT LEISE





DER TAG ENTSCHLUMMERT LEISE

Der Tag entschlummert leise, –
ich walle menschenfern…
Wach sind im weiten Kreise
ich – und ein bleicher Stern.

Sein Auge lichtdurchwoben
ruht flimmernt hell auf mir,
er scheint am Himmel droben
so einsam, wie ich hier…

(Rainer Maria Rilke)








»Was sich überhaupt sagen läßt...




»Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen 
und wovon man nicht reden kann,
darüber muß man schweigen.«


(Ludwig Josef Johann Wittgenstein) 







dich malen




dich malen
mit worten

dein innen
dein außen

deine stärke
deine zartheit

dich nur dich
malen

mit meinen
entsetzlich

unbeholfenen
worten

 
© Rea Revekka Poulharidou






BLÄTTERFALL




BLÄTTERFALL

Der Herbstwald raschelt um mich her.
Ein unabsehbar Blättermeer
Entperlt dem Netz der Zweige.
Du aber, dessen schweres Herz
Mitklagen will den großen Schmerz:
Sei stark, sei stark und schweige!


(Christian Morgenstern)






Foto: Tim Maas







I. Wärme dich an deinen Erinnerungen...




I.

Wärme dich
an deinen Erinnerungen
an vergange Sommer.

Diese Tage
gehen mit nassen Füßen
durchs Gras.

Dunkles Gewölk
trübt der Sonne
den Blick.

II.

Schilfgras
rändert
das Ufer.

Wind riffelt
den Spiegel
des Sees.

Reglos verharrt
die Wildente
in ihrem Nest.

 
(Gottlob Haag)







Kalendergedicht, Montag 24. Oktober 2016



 
SPÄTHERBST - 2.


Prinz Zuckerkant
Kommt ins Land.
Seine Pracht schimmert auf gelben Blättern,
An Stamm und Kraut,
Auf dunklem Ackerbraun.
Wie heimisch ist sie zu schaun!-
Nun könnt´ich hier immer so bei den grauen
Weiden stehn
Und die blinkenden Tropfen fallen sehn!-


Johannes Schlaf (1862-1941)







" ... den Herbst anschaun -





" ... den Herbst anschaun -
ich kann, ohne dass Blätter treiben
und zur Erde fallen, nicht sein ..."

(Pablo Neruda)







Foto: Tim Maas







Sonntag, 23. Oktober 2016

UND IMMER NOCH WORTE




UND IMMER NOCH WORTE

wie viele worte noch, wie viele
wie viele, bis es endlich reicht
wie viele abgeschmackte spiele
wie viele träume noch und ziele
im wollen aufgelöst und nie erreicht

wie viele tränen noch, wie viele
wie viele fließen noch herab
wär es nicht besser gar, es fiele
der schnee von gestern auf die alten ziele
und schenkte ihnen weißes grab

wann endlich kommt die nacht des schweigens
in der das murmeln ganz verlischt
in der die schönheit eines stummen reigens
und ohne scham des eignen zeigens
mit fremden tränen sich vermischt


(Fritz Stavenhagen)












Welch ein Glück...




Welch ein Glück,
dass es die einfachen Dinge immer noch gibt,
immer noch Felder und rauschende Bäume
und den Mond am Himmel,
so hoch aufgehängt, dass ihn niemand
dem Nachbarn zum Trotz
herunterschießen kann!

(Karl Heinrich Waggerl)






mit händen...




mit händen, die zu dir fanden
liebkose ich dein gesicht

mit händen, die nicht mehr träumen wollen
umarme ich dich

ertaste wie eine blinde den weg
um deine augen deinen mund

hauch um hauch

hände, die sich fürchten
dich zu verlieren

einsame hände, die dich
lieben

© Rea Revekka Poulharidou







Was geht er mich an?





Was geht er mich an?
Wie wichtig ist ihm, was
mir
wichtig ist?
Und doch schreckt mich, er könnte
entmutigt stehenbleiben -
er,
da drüben,
auf der anderen Straßenseite,
der sich wie ich
stemmt gegen den Novemberwind.

(Rainer Malkowski)







Vielleicht...




Vielleicht
Dass uns etwas erreicht
Ohne grosse Worte
Nicht irgendwann.

- Monika Minder -






Foto: Tim Maas






Kalendergedicht, Sonntag 23. Oktober 2016




DER ALTE BAUM


Einem Baum, der jung noch blickt,
Hat ihn wilder Sturm geknickt,
Wird er sorgsam nur verbunden,
Heilen bald die tiefen Wunden.

Einem Baum, der morsch und alt,
Knicket den des Sturms Gewalt,
Wird der noch so gut verbunden,
Heilen nimmer seine Wunden.



Justinus Kerner (1786-1862)






Foto: Tim Maas








Samstag, 22. Oktober 2016

DAS GANZE




DAS GANZE


Im Taumel war ein Teil, ein Teil in Tränen,
in manchen Stunden war ein Schein und mehr,
in diesen Jahren war das Herz, in jenen
waren die Stürme - wessen Stürme - wer?

Niemals im Glücke, selten mit Begleiter,
meistens verschleiert, da es tief geschah,
und alle Ströme liefen wachsend weiter
und alles Außen ward nur innen nah.

Der sah dich hart, der andre sah dich milder,
der wie es ordnet, der wie es zerstört,
doch was sie sahn, das waren halbe Bilder,
da dir das Ganze nur allein gehört.

Im Anfang war es heller, was du wolltest
und zielte vor und war dem Glauben nah,
doch als du dann erblicktest, was du wolltest,
was auf das Ganze steinern niedersah,

da war es kaum ein Glanz und kaum ein Feuer,
in dem dein Blick, der letzte, sich verfing:
ein nacktes Haupt, in Blut, ein Ungeheuer,
an dessen Wimper eine Träne hing.

(Gottfried Benn)