Du bist dunkel vor Gold -
Auf deinem Anlitz erwachen
Die Nächte der Liebenden.
Ein Lied bist du
Gestickt auf Blondgrund,
Du stehst im Mond...
Immer wiegen dich
die Bambusweiden.
- Else Lasker-Schüler -
Du bist dunkel vor Gold -
Auf deinem Anlitz erwachen
Die Nächte der Liebenden.
Ein Lied bist du
Gestickt auf Blondgrund,
Du stehst im Mond...
Immer wiegen dich
die Bambusweiden.
- Else Lasker-Schüler -
Was mich am stärksten
verwandelt habe?
Immer wieder die Liebe
die mich erhöht
und erniedrigt hat
und Schnee zurück liess
mit einer Fährte
weiss Gott wohin
- Erika Burkart -
Kein Lebendiges ist ein Eins,
Immer ist's ein Vieles.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Erstickübung
Tief denken
eindenken
ausdenken
jetzt nur mehr flach denken
Flach eindenken
ausdenken
eindenken
jetzt nicht mehr ausdenken
schön stillhalten
so bleiben
überhaupt nicht mehr
denken
oder nur
an etwas ganz anderes
- Erich Fried -
ewiger schnee bis tief
in die sommer hinein
und unter der haut
alle reste der Kindheit
- Lisa Elsässer - auswandern -
Den gelben Astern ein Lied
Sie blicken durch den Regen hell mich an
so licht, daß sie die Sonne mir ersetzen.
Und gar nichts von des Regens Trauer kann
die leuchtend gelbe Freude mir verletzen.
Auflachend neigen sie sich in dem Grün,
das rein und frisch ihr Lachen mir begleitet –
ich leg' ihnen mein Lied zu Füßen hin,
weil sie mir eine Freude heut bereitet.
30.06.1941
- Selma Meerbaum-Eisinger -
„Je weniger Dinge man auf Erden wichtig nimmt,
desto näher kommt man den wirklich wichtigen Dingen.“
- Federico Garcia Lorca -
Wie sicher die Fliege
sich durchs Zimmer bewegt,
jetzt
auf einem Blatt Papier sitzt,
von dem sie nicht weiß,
daß es ein Brief ist,
in dem ein Freund beiläufig
über die Fliegen im Sommer klagt,
und in derselben Sekunde,
in der sie wieder abhebt,
höre ich,
wie Klaus und Carla im Nebenzimmer
über das Universum sprechen
- Rainer Malkowski -
Das gebrochene Licht, ein Fenster, das sich
weit öffnet im dunklen Zimmer.
Und Liebesworte, geflüstert, daß ich
sie mir bewahre für immer.
- Karl Krolow -
Ich lief entlang am leeren Strand,
Die tiefen Wolken ballten sich;
Ich schwor am grauen Meeresstrand:
„So einsam ist kein Mensch wie ich.“
Ich harrte eine Bleinacht lang;
Ich war die Regenschauer leid,
Erschrak, als meine Stimm erklang:
„Noch nie gab’s solche Einsamkeit.“
Doch wenn mein Herz an deinem ruht,
Dein unwirsch Kuss mich mundtot macht,
Weiß ich, nie war mir so zumut,
Nie hab so einsam ich gewacht.
Dorothy Parker (1893-1967)
Ich hörte Dinge, die nicht hörbar sind:
die Zeit, die über meine Haare floss,
die Stille, die in zarten Gläsern klang ...
- Rainer Maria Rilke -
Eines Tages wird alles gut sein, das ist unsere Hoffnung.
Heute ist alles in Ordnung, das ist unsere Illusion.
- Voltaire -
Im Schatten von Schultern schwimmen
die Träume wie Fische.
- Karl Krolow -
DIE WOLKE
Man kann mit ihr
spazieren gehen,
solange keine Himmelserscheinung
über sie herfällt.
Das Wasser widmet ihr
seine Aufmerksamkeit
und winkt aus verdunstenden Flüssen.
Es rührt an das Gedächtnis
des Regens.
- Karl Krolow -
Dein Ort ist
wo Augen dich ansehen.
Wo sich Augen treffen
entstehst du.
Von einem Ruf gehalten,
immer die gleiche Stimme,
es scheint nur eine zu geben
mit der alle rufen.
Du fielest,
aber du fällst nicht.
Augen fangen dich auf.
Es gibt dich
weil Augen dich wollen,
dich ansehen und sagen
daß es dich gibt.
- Hilde Domin -
Die Luft riecht schon nach Schnee, mein Geliebter
Trägt langes Haar, ach der Winter, der Winter der uns
Eng zusammenwirft steht vor der Tür, kommt
Mit dem Windhundgespann. Eisblumen
Streut er ans Fenster, die Kohlen glühen im Herd, und
Du Schönster Schneeweißer legst mir deinen Kopf in den Schoß
Ich sage das ist
Der Schlitten der nicht mehr hält, Schnee fällt uns
Mitten ins Herz, er glüht
Auf den Aschekübeln im Hof Darling flüstert die Amsel.
- Sarah Kirsch -
"Nun stehst du starr‚
Schaust rückwärts ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt — entflohn?"
- Friedrich Wilhelm Nietzsche -
BESCHEIDENE ANFRAGE
Steht mein Bild wohl noch auf deinem Tisch?
Kramst du manchmal noch in meinen Briefen?
Ist das kleine Landhaus mit dem schiefen
Bretterdach auch jetzt noch malerisch?
Geht die Haustürklingel noch so schrill
Und verklingt erschrocken immer leiser ...
Bellt dein Dackel Julius noch so heiser?
Ists am Abend so wie damals still ?
Hast du immer noch kein Telephon?
Gibts auf dem Balkon noch Hängematten?
Spielt ihr manchmal noch die Schubertplatten
Auf dem altersschwachen Grammophon?
Gibts zum Tee noch immer Zuckerschnecken?
Sagt Johanna immer noch «der» Gas ... ?
Darf man in das teure Gartengras
Immer noch nicht seine Beine strecken?
Weht der Seewind morgens noch so frisch?
Grinst der Mond des Nachts noch so verlegen?
Gehst du manchmal mir zur Bahn entgegen?
... Steht mein Bild wohl noch auf deinem Tisch?
Steht mein Bild ...? - Ich hab’ es selbst zerrissen!
Glaub nur nicht, ich hätte deins vermißt.
Aber manchmal möcht man manches wissen,
Wenn man so mit sich alleine ist …
- Mascha Kaléko -
Eisnacht
Wie in Seide ein Königskind
schläft die Erde in lauter Schnee,
blauer Mondscheinzauber spinnt
schimmernd über der See.
Aus den Wassern der Raureif steigt,
Büsche und Bäume atmen kaum:
durch die Nacht, die erschauernd schweigt,
schreitet ein glitzernder Traum.
Clara Müller-Jahnke (1860-1905)
Immer wieder
Es kann alles noch sein.
Noch nie war das Schlimmste ganz da.
Wir haben noch Augen, zu schauen.
Wir haben noch Arme, Häuser zu bauen.
Aber das Schlimmste ist immer ganz nah.
Für uns kann alles noch sein.
Manches, was man nicht hat, wird man noch haben.
Alles wird aus sein, was man noch haben kann.
Aber immer wird irgendwo einer im Schutt graben
und die Stirn und den Arm finden von einem steinernen Mann.
Es wird alles noch sein.
Es wird alles noch aus sein.
Aber immer wieder wird einer noch Mut haben
und sagen: »Fangen wir an!«
Und es wird wieder ein Haus sein.
- Ernst Jandl -
Vielleicht kannst du einen Zugang finden
zu dem, was dir gewiss jeden Tag begegnet:
die Banalität dessen, was du tust...die Routine...
die tausend Ecken, an die du jeden Tag stößt...
Das alles kann von deiner inneren Einstellung
her eine andere Bedeutung bekommen.
Du kannst Ja-sagen lernen, Liebe und Hingabe
in alles hineingeben. Du wirst sehen, dass es die
Mühe ist, die dich zum Menschen macht.
- Anton Rotzetter -
„Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen.
Es ist unsere Unfähigkeit, diese Unterschiede anzuerkennen,
zu akzeptieren und zu feiern.“ —
- Audre Lorde -
Ich glaube, ich habe Ihnen schon einmal geschrieben, dass mir unser Leben oft wie ein Gang in einem unbekannten Lande vorkommt, denn ungewiss ist ja alles, was uns begegnet. Der Himmel ist überall in gleicher Nähe über uns und um uns, und ich vertraue wie Sie, dass er mir wird begegnen lassen, was mir gut ist; gleichwohl sind unsere Füße an den Boden gefesselt, und wir empfinden es schmerzlich, wenn wir in dürrem und heißem Sand dahin schreiten, und wir dürfen uns wohl nach den grünen Wiesen, Wäldern, nach den Orten sehnen, die liebreiche Menschen angebaut haben.
- Wilhelm Grimm an Jenny von Droste-Hülshoff, 9.Januar 1825 -
das blau vom himmel kratzen
auf der dachzinne
wo die zeit steht
nur vogelgezwitscher
und wind
- sabina naef / leichter schwindel -
Ich kann nicht verstehen, was eine Freiheit bedeuten soll,
die mir von einem höheren Wesen verliehen wäre.
Ich habe den Sinn für die Hierarchie verloren.
Von der Freiheit kann ich nicht bloß die Vorstellung
des Gefangenen oder die des modernen Individuums im Staate haben.
Die einzige Freiheit, die ich kenne, ist die Freiheit des Geistes und des Handelns.
Albert Camus (1913-1960)
Der Winter
Das Feld ist kahl, auf ferner Höhe glänzet
Der blaue Himmel nur, und wie die Pfade gehen,
Erscheinet die Natur, als Einerlei, das Wehen
Ist frisch, und die Natur von Helle nur umkränzet.
Der Erde Stund ist sichtbar von dem Himmel
Den ganzen Tag, in heller Nacht umgeben,
Wenn hoch erscheint von Sternen das Gewimmel,
Und geistiger das weit gedehnte Leben.
Friedrich Hölderlin (1770-1843)
Du kannst nicht sagen, ob er wirklich war,
ein kurzer Blick am Rand der Wirklichkeit.
als läge Luft mit Luft im Widerstreit.
Das du ihn sahst, macht den Moment sehr rar.
- Uwe Kolbe -
Auf verwildertem Land wächst vielerlei.
Im klaren Wasser schwimmen niemals Fische.
Darum sind dem Edlen Unreinheit
und Makel nicht fremd.
Drum versteift er sich nicht auf die Liebe
zum Reinen und das Wandeln
auf einsamen Pfaden.
- Hung Ying-Meng -
Dein Traum
Hinter deinen Lidern hing ein Traum.
Der ruhte lange dort ... bis er zum Saum
der Wimpern niedersank,
wo er sich noch einmal fing
und ihre Süße trank,
eh er mit sich geschehen ließ,
daß ihn dein Wimperzittern auf deine Wange fallen hieß,
und er als Lächeln über deine Lippen ging.
Hertha Kräftner (1928-1951)
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Foto: Tim Maas |